Tag : World Athletics

Leichtathletik-Europameisterschaften; Rom, 08.06.2024 Impression: Start 100m Runde 1 der Frauen mit Jennifer MONTAG (GER

Diskusionswürdrig

Köln, 26. August

Liebe Leserinnen und Leser,
„unsere Philosophie bei World Athletics ist der Schutz und die Wahrung der Integrität des Frauen- sports“ – mit diesen Worten erklärt Sebastian Coe, Präsident des Weltverbands, die Einführung verpflichtender Geschlechtstest für Athletinnen. „Wir sagen: Auf Eliteebene darf man nur dann in der Frauenkategorie antreten, wenn man biologisch weiblich ist.“ Das gilt auch schon für die bevorstehenden Weltmeisterschaften. Denn zum 1. September wird die neue Regel kurzfristig in Kraft treten. Und genau das sorgt unter anderem für große Kritik. Gefordert ist, dass Athletinnen sich einem einmaligen SRY-Gentest unterziehen, der Aufschluss über ihr biologisches Geschlecht liefert. Die Analyse der Proben dauert rund zwei Wochen, zum Zeitpunkt der Bekanntgebung verblieben bis zum Start der Weltmeisterschaften noch rund drei Wochen … „Für ein sehr kleines Problem werden enorme Ressourcen aufgewendet, während die wirklich drängenden Themen – Doping, Missbrauch, Gewalt im Sport – weiter bestehen. Wenn wir von Integrität sprechen, dann müssen wir genau dort mindestens genauso entschlossen handeln“, vermisst Weitspringerin Malaika Mihambo die Verhältnismäßigkeit des Schritts.

Doch das fragwürdige Timing des Schritts ist nur das eine, denn es geht auch um die Frage, ab wann eine Frau eine Frau ist – oder dies eben Tests zufolge nicht ist. „Ich finde das merkwürdig, dass wir als Frau jetzt beweisen müssen, dass wir eine Frau sind“, zeigt sich Diskuswerferin Kristin Pudenz genau darüber irritiert, merkt aber auch an: „Wir werden uns dem beugen müssen.“ Natürlich lässt sich über solche Tests diskutieren, darüber, dass erhöhte Testosteronwerte einen Vorteil bringen können. Doch das Vorschreiben eines Geschlechts ist ein ganz anderes Thema. Nicht zuletzt die südafrikanische Mittelstrecklerin Caster Semenya kämpfte jahrelang (mehr oder weniger erfolglos) dagegen an. Es geht auch um die Tatsache, was es vermeintlich mit Athletinnen, die sich als Frau identifizieren, macht, wenn man ihnen fortan die Teilnahme an Wettkämpfen verbieten würde. Zumal durch die kurze verbleibende Periode bis zum WM-Start quasi keine Möglichkeit besteht, gegen die Beschlüsse vorzugehen. Die Sinnhaftigkeit (zum jetzigen Zeitpunkt) darf durchaus infrage gestellt werden.

Alexander Dierke

Athletissima; Lausanne, 22.08.2024 MAHUCHIKH Yaroslava (UKR) at Athletissima; Lausanne, 22.08.2024 *** Athletissima Laus

Besonderer Start

Köln, 22. April

Liebe Leserinnen und Leser,
nach der weitestgehend wettkampffreien Zeit ist endlich wieder der Moment gekommen, ab dem im Meeting-Kalender so einiges los ist. In den vergangenen Tagen standen etwa mit den Straßenlauf-Europameisterschaften und den Deutschen Meisterschaften im Straßengehen schon erste Titelentscheidungen auf dem Programm. Kurz vor Druckschluss dieser Leichtathletik-Ausgabe galt es am Ostermontag dann wieder, seine Blicke über den Großen Teich nach Boston schweifen zu lassen. Denn dort ging der traditionelle Marathon über die Bühne – der übrigens erstmals im Jahr 1897 ausgetragen wurde. Geschichten wurden seitdem schon so einige geschrieben, doch ein siegreiches Bruderpaar gibt es erst, seit John Korir bei der diesjährigen 129. Ausgabe der Veranstaltung als erster die Ziellinie in der Hauptstadt von Massachusetts überquerte.

Es sind doch irgendwie genau diese Augenblicke, die den Sport und die Leichtathletik auszeichnen und auf die man sich Saison für Saison freuen darf. Die bevorstehende Wettkampfperiode wird bekanntlich wieder eine besondere sein, finden die Weltmeisterschaften schließlich erst im September statt. Ein besonderes (besonders langes) Jahr wartet auf die Athletinnen und Athleten wie auch die Fans – denn in besagtem Meeting-Kalender lassen sich durch die späte WM-Austragung so manche Veränderungen ausmachen. Auch in Hinblick auf die Diamond League. Die Elite-Serie des Weltverbands World Athletics startet am 26. April im chinesischen Xiamen in die Saison 2025 und wird in diesem Jahr zu einer Art Warm-up-Wettkampf-reihe für die World Championships. Hier lässt es sich gegen die Besten des Globus duellieren und proben – doch das bedeutende Edelmetall wird anderswo vergeben. Zudem hat der Veranstalter auch noch mit neuen Konkurrenzangeboten zu kämpfen. Kurzum lässt sich festhalten: Auch in ihrer nunmehr 16. Saison ist die Diamond League in gewisser Weise noch auf der Suche nach ihrem Standing.

Alexander Dierke

ISTAF Indoor; Duesseldorf, 09.02.2025

Innovativ in die Grube

Köln, 11. Februar

Liebe Leserinnen und Leser,
ein 34 Zentimeter langes Brett, dahinter eine sechs Zentimeter lange Anlaufbahn: Es sind diese 40 Zentimeter, über die in den vergangenen Tagen (erneut) lebhaft diskutiert wurde. Denn kurz vor dem ISTAF Indoor in Düsseldorf verkündeten die Veranstalter so etwas wie eine Sensation – die erstmalige Austragung eines Weitsprung-Wettkampfs mit Take-off-Zone. Entsprechende Gedanken sind beim Weltverband World Athletics schon vor längerer Zeit aufgekommen, bei den Weltmeisterschaften 2023 in Budapest seinen laut WA-Präsident Sebastian Coe rund ein Drittel aller Versuche im Frauen-Weitsprung ungültig gewesen. Die Schlussfolgerung: Dies sei langweilig für die Zuschauer. Aber ist das wirklich so? Schließlich ist der Punkt Anlauf und Brett treffen doch das schwierigste Element des Weitsprungs – und geht es nicht darum, die kompletteste Weitspringerin oder den komplettesten Weitspringer zu ermitteln? Zeichnet nicht exakt das Weltklasse aus? Und vor allem sorgt doch genau das auch für Spannung! Sicherlich, die Leichtathletik muss attraktiver werden, nicht nur für neue Zielgruppen. Doch muss man deshalb die Regeln der einzelnen Disziplinen grundsätzlich verändern? Man stelle sich vor, man würde im Basketball den Korb vergrößern, nur weil es nicht genug Treffer gibt. Eine unsinnige Idee, nicht zuletzt für US-Leichtathletik-Ikone Carl Lewis, der diesen Gedanken aufgebracht hat. Anders sieht es Deutschlands Beste. Malaika Mihambo machte nach dem Test in Düsseldorf sportlich „nur positive Aspekte“ aus. Und natürlich hat sie Recht damit, dass mit einer solchen Regeländerung die tatsächlichen Weiten ermittelt würden. Aber: An ihre starken 7,07 Meter aus Karlsruhe ist die 31-Jährige beim ISTAF nicht ansatzweise herangekommen – ihr bester Versuch wurde bei einer Weite von 6,87 Metern markiert. Und genau hier kommt das nächste Problem auf: Denn es wird zwar die tatsächliche Weite ermittelt, für die Zuschauer ist jedoch im ersten Moment in Düsseldorf nicht ersichtlich gewesen, wie viel ein Sprung wirklich wert war. Zudem war da die verzögerte Übermittlung der Weiten. Aber es waren eben von insgesamt 42 Versuchen auch nur fünf ungültig – die entsprechende Quote sank verglichen mit Budapest auf zwölf Prozent. Doch ist das tatsächlich so wichtig?

Alexander Dierke