Author : redaktion

European Athletics Indoor Championships 2025; Apeldoorn, 07.03.2025

Zahlenspiele

Köln, 11. März

Liebe Leserinnen und Leser,
viermal Edelmetall, Rang 16 im Medaillenspiegel. Beim Blick auf die nackten Zahlen ist das Abschneiden der deutschen Athletinnen und Athleten bei den Hallen-Europameisterschaften wieder einmal ernüchternd. Ein EM-Titel ist im niederländischen Apeldoorn nicht herausgesprungen, nicht einmal für Kugelstoßerin Yemisi Ogunleye oder Weitspringerin Malaika Mihambo – und das offenbart die momentane Ausgangslage in der deutschen Leichtathletik. Ja, der DLV besitzt inzwischen wieder vereinzelte Sportlerinnen und Sportler von Weltklasse-Format – um ehrlich zu sein vor allem die beiden genannten Athletinnen. Aber: Wenn die Besten nicht performen, sieht es für das Kollektiv oftmals düster aus. Zwei Silber- und zwei Bronzemedaillen sind natürlich noch ein Ertrag, aber es zeigt selbst bei kontinentalen Titelkämpfen unter dem Hallendach einen rückläufigen Trend auf: 2021 gewann das DLV-Team noch sechs, 2023 immerhin noch fünf Medaillen. Jetzt ließe sich argumentieren, dass längst nicht alle deutschen Leichtathleten in der Arena anwesend waren, die auch im Sommer „zur Verfügung“ stehen. Dennoch war Deutschland vielköpfig vertreten – und: Es war „nur“ ein Vergleich gegen die europäische Konkurrenz. Noch dazu indoor. Dass man diesen Herausforderungen nicht so wirklich standgehalten hat, verheißt nichts Gutes. Etwa die männlichen Stabhochspringer hatten sich durch das Fernbleiben von Armand Duplantis echte Medaillenchancen ausgerechnet. Auch die Hochspringerinnen hatten auf mehr gehofft, als es dann wurde. Eigentlich ist es das gleiche Bild wie immer: Deutsche Athleten sind oft nah dran an den besten fünf, sechs dieses Kontinents oder gar des Globus, doch die Hürde dahin kann nicht überwunden werden. Apropos Hürden: Marlene Meier hat bei ihrem ersten großen Finale als Sechste überzeugt – wenngleich auch sie nicht an ihr Optimum herankam. Auch Dreispringer Max Heß sendete mit Silber positive Signale. Gleichermaßen Mehrkämpfer Till Steinforth, der „überraschend“ den deutschen Hallenrekord von Leo Neugebauer knackte und sich mit Bronze dafür belohnte. Und natürlich haben auch Mihambo und Ogunleye Medaillen gewonnen. Aber neunfaches Edelmetall wie von der Gastgebernation liest sich einfach anders. Zumal Oranje die Heim-Party mit sieben Goldmedaillen versüßte.

Alexander Dierke

Hallen DM 2025

Eine Frage der Attraktivität

Köln, 25. Februar

Liebe Leserinnen und Leser,
Dortmund hat Lust auf Leichtathletik! Das haben die diesjährigen Deutschen Hallenmeisterschaften wieder einmal gezeigt. Bereits die Wettkämpfe am Freitagabend waren gut besucht (es stand unter anderem Kugelstoß-Olympiasiegerin Yemisi Ogunleye im Ring – und dankte mit neuer PB), am Wochenende waren die Titelkämpfe dann an beiden Tagen restlos ausverkauft. Jeweils 4.000 Zuschauer waren so dabei, als etwa die Sprinter auftrumpften: Robin Ganter lief zum überraschenden Double über 60 und 200 Meter, Alexandra Burghardt holte sich auf der kurzen Distanz Gold mit neuer PB, Youngster Johanna Martin verteidigte ihren 400-Meter-Titel und im Hürdensprint präsentierte sich Marlene Meier in Top-Form. Auch sonst gab es ein paar Highlights: 6,79 Meter von Weitspringerin Malaika Mihambo etwa – wenngleich sie selbst mit ihrem Wettkampf nicht ganz zufrieden war. Oder der Gold-Ausflug von Majtie Kolberg auf die 1.500 Meter. Auch 17,00 Meter von Max Heß waren stark und offenbarten doch ein bekanntes Problem: Der Dreispringer gewann mit weit über einem Meter Vorsprung. In seiner Disziplin ist das Leistungsgefälle national seit Jahren groß, doch auch in anderen Disziplinen hat diese Hallen-DM wieder einmal untermauert, dass das Niveau teils nur mittelmäßig und der Abstand auf die Weltspitze teils immens ist. „Es gibt eine überschaubare Anzahl an Athletinnen und Athleten, die zur Spitze zählen“, lautete ein Fazit des DLV-Sportvorstandes Dr. Jörg Bügner auf der abschließenden Pressekonferenz.
In erster Linie sind es Leistungen, mit denen neue Menschen für die Leichtathletik begeistert werden können. In Dortmund war die Halle wie angesprochen voll, und doch muss man auch anmerken, dass die Kapazität begrenzt war. Zum Vergleich: Samstagabend pilgerten 75.000 Personen draußen an der Arena vorbei zum Fußball-Bundesliga-Spiel von Borussia Dortmund … Das Thema Attraktivität spielte jedenfalls auch für die Organisatoren der Hallen-DM eine Rolle – man hatte sich etwa Lichtershows für die Athletenpräsentationen überlegt. Eine gute Idee. Anders sah es beispielsweise mit den Siegerehrungen aus, diese fanden für diejenigen, die erst am Tagesende angetreten waren, (teils weit) nach Wettkampfende statt. Zu diesem Zeitpunkt war die Halle sowohl am Samstag als auch am Sonntag so gut wie zuschauerleer. Es braucht Verbesserungsmaßnahmen. Das weiß, so fair muss man sein, auch der DLV.

Alexander Dierke

ISTAF Indoor; Duesseldorf, 09.02.2025

Innovativ in die Grube

Köln, 11. Februar

Liebe Leserinnen und Leser,
ein 34 Zentimeter langes Brett, dahinter eine sechs Zentimeter lange Anlaufbahn: Es sind diese 40 Zentimeter, über die in den vergangenen Tagen (erneut) lebhaft diskutiert wurde. Denn kurz vor dem ISTAF Indoor in Düsseldorf verkündeten die Veranstalter so etwas wie eine Sensation – die erstmalige Austragung eines Weitsprung-Wettkampfs mit Take-off-Zone. Entsprechende Gedanken sind beim Weltverband World Athletics schon vor längerer Zeit aufgekommen, bei den Weltmeisterschaften 2023 in Budapest seinen laut WA-Präsident Sebastian Coe rund ein Drittel aller Versuche im Frauen-Weitsprung ungültig gewesen. Die Schlussfolgerung: Dies sei langweilig für die Zuschauer. Aber ist das wirklich so? Schließlich ist der Punkt Anlauf und Brett treffen doch das schwierigste Element des Weitsprungs – und geht es nicht darum, die kompletteste Weitspringerin oder den komplettesten Weitspringer zu ermitteln? Zeichnet nicht exakt das Weltklasse aus? Und vor allem sorgt doch genau das auch für Spannung! Sicherlich, die Leichtathletik muss attraktiver werden, nicht nur für neue Zielgruppen. Doch muss man deshalb die Regeln der einzelnen Disziplinen grundsätzlich verändern? Man stelle sich vor, man würde im Basketball den Korb vergrößern, nur weil es nicht genug Treffer gibt. Eine unsinnige Idee, nicht zuletzt für US-Leichtathletik-Ikone Carl Lewis, der diesen Gedanken aufgebracht hat. Anders sieht es Deutschlands Beste. Malaika Mihambo machte nach dem Test in Düsseldorf sportlich „nur positive Aspekte“ aus. Und natürlich hat sie Recht damit, dass mit einer solchen Regeländerung die tatsächlichen Weiten ermittelt würden. Aber: An ihre starken 7,07 Meter aus Karlsruhe ist die 31-Jährige beim ISTAF nicht ansatzweise herangekommen – ihr bester Versuch wurde bei einer Weite von 6,87 Metern markiert. Und genau hier kommt das nächste Problem auf: Denn es wird zwar die tatsächliche Weite ermittelt, für die Zuschauer ist jedoch im ersten Moment in Düsseldorf nicht ersichtlich gewesen, wie viel ein Sprung wirklich wert war. Zudem war da die verzögerte Übermittlung der Weiten. Aber es waren eben von insgesamt 42 Versuchen auch nur fünf ungültig – die entsprechende Quote sank verglichen mit Budapest auf zwölf Prozent. Doch ist das tatsächlich so wichtig?

Alexander Dierke

(240802) -- PARIS, Aug. 2, 2024 -- Christina Honsel of Germany competes during the women s high jump qualification of At

So nah, so fern?!

Köln, 28. Januar

Liebe Leserinnen und Leser,
der Auftakt in die Hallensaison 2025 ist geglückt. Was für zahlreiche deutsche Athletinnen und Athleten gilt – Jessica-Bianca Wessolly läuft 22,84 Sekunden über 200 Meter, Yemisi Ogunleye stößt in ihrem zweiten Wettkampf des Jahres 19,77 Meter, Weitspringer Simon Batz setzt 8,05 Meter in den Sand und Gina Lückenkemper spult die 60 Meter in 7,32 Sekunden ab – hat insbesondere für die nationalen Hochspringerinnen Bestand. Christina Honsel und Imke Onnen sind die beiden Protagonistinnen, um die sich hierzulande in der jüngeren Vergangenheit alles dreht, wenn man gewollt ist, das Wort „Weltklasse“ zu verwenden. Zum Saisoneinstand geht es für die 27-Jährige und die 30-Jährige über 1,90 und 1,93 Meter; das ist mit Blick auf ihre bisherige Laufbahn für Honsel der beste und für Onnen der zweitbeste Auftakt unter dem Hallendach.

Mit solchen Leistungen gehört man zu den weltbesten Athletinnen, mit jedem Zentimeter mehr steigert sich das Ansehen noch einmal – das DLV-Duo belegte im Vorjahr Rang acht bei den Europameisterschaften (Onnen) und Platz sechs bei den Olympischen Spielen (Honsel). Das sei gepriesen – und doch belegten die beiden DLV-Hochspringerinnen in der Weltjahresbestenliste 2024 „nur“ die Ränge 16 und 24. Ganz nah dran an der Spitze und den Medaillen, aber dennoch (so weit) entfernt. Im Höhenbereich zwischen 1,90 und 2,00 Meter kann schon ein Zentimeter Grenzen verschieben. Es sei gesagt: Es braucht die zwei Meter, um sich selbst ein Denkmal zu setzen. Christina Honsel und Imke Onnen ist das zuzutrauen. Aber wenn man ehrlich ist, ist auch anzumerken: Beide scheinen gerade nahe des Peaks ihrer Leistungsfähigkeit zu sein. Ein solcher Zustand hält nicht ewig an.

Gut also, dass mit Johanna Göring auch noch ein äußerst vielversprechendes deutsches Talent anklopft. Seit Jahren. Obgleich sie gerade einmal 19 Jahre alt ist. Was all diese Parameter für die Ausgangslage im nationalen Hochsprung der Frauen bedeuten, beleuchten wir im Top-Thema der neuen Leichtathletik-Ausgabe genauer.

Alexander Dierke

Athletics - Olympic Games Paris 2024: Day 14

Verdiente Auszeichnung

Köln, 15. Januar

Liebe Leserinnen und Leser, Yemisi Ogunleye und Leo Neugebauer sind unsere „Leichtathleten des Jahres“ 2024. Zwei Olympia-Helden, die jedoch in der vergangenen Saison längst nicht nur in Paris geglänzt haben. Vielmehr widersprachen die Kugelstoßerin und der Zehnkämpfer einem Trend: nämlich jenem, dass die deutsche Leichtathletik aktuell nicht in der Weltklasse stattfände. Ogunleye und Neugebauer gehören sehr wohl zu den Besten des Globus – alles andere würde nach olympischem Gold und olympischem Silber auch für Fragezeichen sorgen. Die Entwicklungen der beiden Athleten sind hingegen durchaus unterschiedlich – und doch haben sie gemeinsam, dass beide (für den Außenstehenden so wirkend) von jetzt auf gleich so richtig durchstarteten.

Neugebauer gelang sein Durchbruch schon 2023, der US-Student stieg damals mit seinem deutschen Rekord quasi über Nacht zum Hero auf. Im vergangenen Jahr schraubte er diese Bestmarke erneut beeindruckend in die Höhe und kratzt längst an der 9.000-Punkte-Marke. Silber in Paris war wohl „bloß“ eine vorübergehende Krönung. Und Yemisi Ogunleye? Die hat 2024 eine Geschichte geschrieben, die wohl in keinem Drehbuch besser hätte stehen können. Mit dem Hallenauftakt in Nordhausen steigerte die 26-Jährige damals auf Anhieb ihre persönliche Bestleistung, es folgte Silber bei der Hallen-WM und der erste Stoß über 20 Meter. Ogunleye war angekommen in der Weltspitze. Im Sommer hatte sie dann – ganz im Stile einer Gospelsängerin – ihre großen Auftritte: Auf eine Bronzemedaille bei der EM folgte der Olympiasieg. Wieso die dort mit dem letzten Versuch gestoßenen exakt 20,00 Meter für die gläubige Athletin von so besonderer Bedeutung sind, verrät sie im Sieger-Interview in dieser Ausgabe. Was ansonsten bleibt: Es ist wieder einmal schön zu sehen, wie sehr sich die beiden Gewinner über die Auszeichnung freuen.

Alexander Dierke

World Athletics Indoor Championships Glasgow 2024 - Day One Christina Honsel from Germany is competing in the high jump

Momente für die Ewigkeit

Köln, 17. Dezember

Liebe Leserinnen und Leser,
jetzt ist es endgültig Zeit für einen Rückblick: Das Jahr 2024 ist in wenigen Tagen vorüber und damit ein Jahr, auf das im Vorfeld lange hingefiebert wurde. Olympische Spiele stehen schließlich nur in jeder vierten Saison auf dem Programm. Und in puncto deutsche Leichtathletik waren die Wettkämpfe, oder besser gesagt die Leistungen der DLV-Athleten in der französischen Hauptstadt Paris ja ohnehin unter besonderer Beobachtung. Nach schwachen letzten Jahren; und in Hinblick auf die angestrebte Rückkehr Deutschlands unter die Top Fünf der Welt bis 2028. Sie wissen, wie der Jenga-Turm deutsche Leichtathletik aktuell zusammengesetzt ist …

Eine Therapie ist da schon länger notwendig, doch was bringt diese für die nationale Leichtathletik nach dieser Saison 2024 als Zwischenfazit hervor? Vielleicht einfach so viel: Es ist kompliziert – aber die erste Trendumkehr (eines dieser Wörter der jüngeren Leichtathletik-Vergangenheit) ist gelungen. Auf Verbandsebene wurden einige Änderungen vollzogen, auf Seite der Athleten haben Medaillen bei den Europameisterschaften sowie in Paris für besondere Momente gesorgt. Dass es für die DLV-Delegation im Stade de France vierfach Edelmetall gab, ist etwa im Vergleich zu Tokio 2021 eine Verbesserung. Und zum Jahresende ist es irgendwann auch mal genug mit der Nörgelei … Denn was von den vergangenen Monaten bleibt, sind auch zahlreiche unvergessliche Momente. Das sensationelle Kugelstoß-Gold von Yemisi Ogunleye etwa. Oder das starke Comeback von Hindernis-Spezialistin Gesa Krause. Und natürlich die Weltrekord-Show des schwedischen Stabhochsprung-Ausnahmekönners Armand Duplantis. Die außergewöhnlichsten Sportlerleistungen und Momente lassen wir nicht nur in unserem Jahresrückblick noch einmal aufleben, sondern die besten nationalen Athleten stehen auch als „Leichtathleten des Jahres“ zur Wahl.

Abschließend bleibt mir nun noch, mich für Ihre uns 2024 gegenübergebrachte Treue zu bedanken. Im Namen der Redaktion wünsche ich Ihnen besinnliche Weihnachtsfeiertage und einen guten Rutsch in das Jahr 2025.

 

Alexander Dierke

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Vergangenheit und Zukunft

Köln, 3. Dezember

Liebe Leserinnen und Leser,
wenn ein Athlet wie kein Zweiter die Faszination Leichtathletik verkörperte, dann war es wohl Hürdensprinter Edwin Moses. Der US-Ame- rikaner sorgte in den 1970er- und 80er-Jahren für überfüllte Stadien und einen Hype, der der Sportart gerecht wurde. Lange ist das her – und die Ausgangslage in der Leichtathletik sieht inzwischen anders aus. Edwin Moses hingegen ist noch immer ein großer Name. Das liegt zum einen an seinen historischen Leistungen, die bis heute seines gleichen suchen – 122 Rennen in Folge blieb der inzwischen 69-Jährige einst unbesiegt. Zum anderen sind es aber vor allem auch seine Verdienste für den Sport, die ihn einzigartig machen: Moses setzte sich von Beginn seiner Karriere an für eine faire Bezahlung von Athleten sowie einen sauberen Sport ein. Ungerechtigkeit war schon stets ein Thema, das den Mann, der sich seine Disziplin selbst beibrachte, beschäftigt. Daran hat sich auch knapp 40 Jahre nach dem Ende seiner Karriere nichts geändert. Ohnehin: Wenn man mit Edwin Moses spricht, verkörpert er noch immer diesen unbändigen Willen und eine große Weisheit. Er blickt mit Stolz auf seine Laufbahn zurück, spricht gerne über besondere Meilensteine in der damaligen Zeit – und fühlt sich geehrt durch einen Kinofilm, der in dieser Woche anläuft und seinen einzigartigen Werdegang porträtiert. Aber er blickt auch noch immer kritisch auf die Welt der Leichtathletik. Die großen Typen, wie er oder beispielsweise US-Sprinter Michael Johnson einst einer waren, fehlen heutzutage – wenngleich Moses der Meinung ist, dass es noch immer genügend Stars gibt. Themen wie Doping-Bekämpfung seien noch immer nicht ausreichend entwickelt, in Sachen Rassismus könne der Sport früher wie heute hingegen verbinden. Kurzum: Ein Gespräch mit Edwin Moses ist durchaus besonders. Eine Stunde hat er sich Zeit genommen, das Ergebnis lesen Sie in dieser Ausgabe. Übrigens: Dass das Interesse an der Leichtathletik so sehr zurückgegangen ist, beschäftigt auch Moses. Insofern ist es durchaus spannend, dass der Weltverband World Athletics dieser Tage die Einführung der „Ultimate Championships“ verkündet hat. Man will mit einer innovativen WM 2.0 das Interesse der Sportwelt (zurück-)erobern.

 

Alexander Dierke

Rom, Leichtathletik, Athletics, Track and Field, EAA, Leichtathletik EM Rom 2024 European Championships Rom , 07.06-12.0

Zeit für Reflexion

Köln, 19. November

Liebe Leserinnen und Leser,
das Jahr 2024 neigt sich so langsam dem Ende zu – dabei sind doch gefühlt gerade erst die Olympischen Spiele über die Bühne gegangen! Die Zeit rast, und während sich so langsam bereits ein Hauch von Vorweihnachtszeit über den Alltag legt, bereiten sich die Leichtathleten längst auf die kommende Saison vor. Im Redaktionsalltag ist hingegen Zeit für Reflexion: Was hat uns in diesem Jahr in der Leichtathletik besonders bewegt, wer hat uns besonders imponiert, was waren die Momente, die uns in Erinnerung bleiben? Und natürlich stellt sich auch die uns Sportjournalisten seit langem begleitende Frage: Wo steht sie eigentlich, die deutsche Leichtathletik? Letztere Frage versuchen wir, Ihnen fortlaufend durch die Inhalte in unserem Magazin zu „beantworten“. Doch nicht nur diese, sondern auch die zuvor genannten Fragen möchten wir natürlich gerne an Sie weitergeben. Parallel zu den aktuellen Produktionen arbeiten wir gemeinsam mit dem Deutschen Leichtathletik-Verband und den „Freunden der Leichtathletik“ an den Kandidaten für die Wahl der „Leichtathleten des Jahres“. Die Vorauswahl werden wir Ihnen wie gewohnt Mitte Dezember präsentieren.
Und doch gibt es bereits jetzt so manche Anekdoten, die in Erinnerung bleiben, wenn man an die Saison 2024 zurückdenkt. Ein durchaus besonderer Moment hat sich für mich gleich zu Beginn dieses Kalenderjahres ereignet: der 90-Meter-Wurf von Speerwurf-Youngster Max Dehning. Als damals die Nachricht reinkam, ein deutscher Speerwerfer habe die 90-Meter-Marke geknackt, waren die Gedanken zunächst natürlich bei Julian Weber. Doch schnell war klar: Diese 90,20 Meter konnten nicht von dem sich in der Offseason befindenden Weber stammen. Umso größer war dann noch einmal das Erstaunen darüber, dass dem damals erst 19 Jahre alten Dehning diese Leistung gelungen war. Doch was mir in der Folge noch viel mehr imponiert hat, ist, dass der Leverkusener anschließend nicht abgehoben ist. Er wusste sein Resultat aus Halle/Saale immer realistisch einzuschätzen – weiß, dass er noch nicht konstant in diesem Bereich unterwegs ist. Genau diese gesunde Selbsteinschätzung braucht es, um in Zukunft einmal erfolgreich unterwegs zu sein. Fest steht dennoch: Max Dehning ist einer unserer Senkrechtstarter 2024. Im Top-Thema dieser Ausgabe nehmen wir ihn und weitere DLV-Talente für Sie genauer unter die Lupe.

 

Alexander Dierke

PARIS, FRANCE - 4 AUGUST, 2024: MAHUCHIKH Yaroslava, High Jump, Olympic Games, Olympische Spiele, Olympia, OS 2024 PUBLI

Verdiente Sieger

Köln, 5. November

Liebe Leserinnen und Leser,
Jaroslawa Mahutschich und Armand Duplantis sind die europäischen Leichtathleten des Jahres. Die ukrainische Hochspringerin und der schwedische Stabhochspringer haben die Jury des Kontinentalverbandes European Athletics bei deren Betrachtung der Saison 2024 überzeugt. Und mal ehrlich: Das war nicht schwer! Selten habe ich in den letzten Jahren in der Leichtathletik eine solch große Dominanz erlebt, wie die beiden Höhenflieger sie in den zurückliegenden Monaten ausgestrahlt und hingelegt haben. Gewiss, beide sind keine Neulinge mehr – trotzt ihres noch immer jungen Alters von gerade einmal 23 (Mahutschich) beziehungsweise 24 (Duplantis) Jahren. Doch bei den sportlichen Highlights anno 2024 haben sie der Konkurrenz schlicht keine Chance gelassen: Beide haben den EM-Titel gewonnen, aus Paris eine olympische Goldmedaille entführt und zum Abschluss auch noch den Gesamtsieg in der Diamond League errungen. Ganz schön eindrucksvoll? Na ja! Denn die zwei Protagonisten haben natürlich noch viel mehr zu bieten gehabt: Ganze drei Weltrekorde an der Zahl hat Armand Duplantis in diesem Jahr aufgestellt. Die zehn besten Sprünge aller Zeiten gehen nun auf das Konto des Ausnahmekönners, der seit Sommer 2023 keinen Wettkampf mehr verloren hat. Perfekter als den Olympiasieg mit einem (inzwischen von ihm geknackten) Weltrekord von 6,25 Metern zu besiegeln, hätte es für ihn kaum laufen können. Paris ist diese Saison schlicht ein gutes Pflaster gewesen. Denn hier trumpft auch Mahutschich auf – wenngleich ihr ergebnistechnisches Highlight gut einen Monat vor Olympia ansteht: Beim Diamond-League-Meeting knackt sie den seit 1987 bestehenden Hochsprung-Weltrekord der Bulgarin Stefka Kostadinowa. 2,10 Meter sind in Relation eine gleichermaßen imponierende Leistung, wenngleich Mahutschich sich im Hochsprung – anders als Duplantis im Stabhochsprung – noch halbwegs einer Konkurrenz ausgesetzt sieht. Bleibt die spannende Frage, wohin es für beide Athleten in Zukunft noch gehen kann. Und vor allem: wie hoch hinaus?

 

Alexander Dierke

Running: Chicago Marathon Oct 13, 2024; Chicago, IL, USA; Ruth Chepngetich of Kenya finishes first in the women’s race,

Sportliche Mondlandung

Köln, 22. Oktober

Liebe Leserinnen und Leser,
als Chicago – die Metropole des Mittleren Westens – Mitte Oktober in das Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, hat das ausnahmsweise mal nichts mit dem US-Wahlkampf zu tun. Für einen kurzen Moment sind weder ein TV-Interview der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris mit dem Haussender (Fox) ihres Kontrahenten Donald Trump noch eine wenige Tage später stattfindende Wahlkampf-Farce eben jenes Republikaners in einer Fast- Food-Kette Gesprächsstoff Nummer eins. Die Schlagzeilen schlagen dennoch hohe Wellen, die Dimensionen, in denen sich bewegt wird, reichen sogar hin bis zu einer Mondlandung. Einer sportlichen wohlgemerkt: Als die Kenianerin Ruth Chepngetich beim Chicago Marathon die rotgefärbte Ziellinie überquert, ist die Sport-Welt eine andere. 2:09:56 Stunden leuchten über ihr auf dem Zielbogen auf. Eine Fabelzeit, von der man noch am Morgen dachte, dass diese niemals würde möglich sein. Schlicht zu exzellent ist dieses Resultat, das vergleichbar ist mit einer Männer-Zeit von unter zwei Stunden. Der Tod der Leichtathletik? So zumindest reagiert der irische Mittelstreckler Stephen Kerr auf die Leistungsexplosion der 30-Jährigen. Um fast viereinhalb Minuten hat Chepngetich ihre vorherige Bestzeit verbessert, im Vergleich zum erst 2023 durch die Äthiopierin Tigist Assefa aufgestellten Weltrekord stoppen die Uhren in der Stadt am Lake Michigan beinahe zwei Minuten früher. „Es ist fast so, als würde man jemanden auf dem Mond landen sehen“, beschreibt die ehemalige US-Mittelstrecklerin Carrie Tollefson das Ausmaß einer real gewordenen Utopie. Kann nicht mehr mithalten, wer sauber ist? Chepngetich hat sich bislang nichts zuschulden kommen lassen. Aber Zweifel kommen durchaus auf, nicht zuletzt wird die Athletin durch Federico Rosa betreut – zwei ehemalige Sprösslinge von ihm wurden in der Vergangenheit des Dopings überführt. Hinzu kommt das allgemeine Doping-Problem in Kenia. Zumal der dortigen Nationalen Anti-Doping-Agentur die finanziellen Mittel unlängst drastisch gekürzt wurden. Aber: Eine Sportart entwickelt sich auch weiter – Training und Ausstattung (Stichwort Carbon-Schuhe) sind heute ein anderes als noch vor 20 Jahren. Genau hinschauen lohnt sich definitiv – das gilt für den US-Wahlkampf wie auch sportliche Fabelleistungen an der Grenze des Möglichen.

 

Alexander Dierke