Category : Allgemein

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Gänsehaut-Motto

Köln, 11. April 2018

„Lauf, Junge! Das kann dein Rennen werden!“ Die meisten von Ihnen, liebe Leser, werden sicher sofort wissen, wann diese Worte gefallen sind. 2006 beim EM-Finale über 10.000 Meter in Göteborg, als Jan Fitschen zu seinem unnachahmlichen Sprint ansetzte und die Kommentatoren Ralf Scholt und Wilfried Hark die Emotionen aus dem Stadion unter anderem mit diesen Worten so erfolgreich in die deutschen Wohnzimmer transportierten. Über 150.000 Mal wurde das Video von Fitschens Sieg mittlerweile auf Youtube angeklickt, kaum ein Rennen hat sich in den letzten 20 Jahren so sehr ins kollektive Gedächtnis der Leichtathletik-Fans eingebrannt. Und auch der Europameister selbst erinnert sich gerne und oft an den wichtigsten Tag seines Berufslebens zurück, wie er uns im Interview (S. 14–15) verraten hat. Das Gespräch mit ihm ist der Start in eine lose Serie, die nicht nur an große historische Momente erinnern, sondern gleichzeitig noch mehr Lust auf die EM in Berlin machen soll. Währenddessen hat die erste Straßenlauf- Woche des Frühlings schon einmal gezeigt, dass eine Riege ambitionierter deutscher Läuferinnen und Läufer auf einem guten Weg in Richtung EM unterwegs ist. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass die meisten dieser Läuferinnen und Läufer auch schon ein paar Mal das Rennen von 2006 auf Youtube angesehen und jedes Mal Gänsehaut bekommen haben, wenn es hieß: „Das kann dein Rennen werden!“. Klingt ja auch nach einem verdammt guten Motto für die diesjährige EM, meint

Daniel Becker

Pole vaulter

Superstar-Suche

Köln, 3. April 2018

Braucht die Leichtathletik überhaupt einen neuen Star? Als wir uns mit dem Titelthema der aktuellen Ausgabe beschäftigt haben, haben wir uns genau diese Frage gestellt. Wir diskutierten unter anderem auch über das Medienspektakel, für das Usain Bolt mit seinem Training bei Borussia Dortmund sorgte. Eine Frage stand dabei vor allem im Raum: Ist es ein schlechtes Zeichen für die Leichtathletik, wenn ein Ex-Leichtathlet bei einem mehr oder weniger ernst gemeinten PR-Termin mehr Aufmerksamkeit bekommt als es die aktiven Leichtathleten? Vielleicht ist es wirklich bedenklich, vielleicht muss man aber auch anerkennen, dass sich einer der größten Leichtathleten aller Zeiten die Aufmerksamkeit nach Karriereende einfach erarbeitet hat. Meine persönliche Meinung: Bolt hätte die gleiche Aufmerksamkeit auch bekommen, wenn es schon einen neuen Star in der Leichtathletik gäbe.

Aber braucht es den Superstar? Einige Leichtathleten äußerten nach der WM, dass sie froh über das Ende des Bolt-Hypes seien, da nun wieder mehr Platz für andere im Scheinwerferlicht sei. Doch genau dort ist der Platz nun kleiner geworden, der Kampf um globale Aufmerksamkeit der olympischen Kernsportart noch etwas schwieriger. Ein neuer Star würde der Leichtathletik guttun. Doch das muss aus unserer Sicht nicht unbedingt eine Einzelperson sein, es könnte auch eine ganze Disziplin sein. In unserer Titelstory erklären wir, warum wir den Stabhochsprung für den heißesten Kandidaten halten.

Daniel Becker

7 Stabhochsprung Classics Leverkusen 24 06 2016 Shawn Barber Kanada und Meeting Direktor Michel

Wichtiges Signal

Köln, 21. März 2018

Der Weg zurück war ein langer. 2009 fand das damals renommierte „Bayer Meeting“ in Leverkusen zum letzten Mal statt – eine Vollveranstaltung, die alle Facetten der Leichtathletik zeigte. Letzte Woche kam dann die Meldung: 2020 soll unterm Bayerkreuz wieder ein Voll-Meeting ausgetragen werden, und schon in diesem Jahr werden die „Stabhochsprung Classics“ ausgeweitet und um drei Disziplinen ergänzt. Premiere ist unter dem Namen „Bayer Classics“ am 16. Juni.

Ein bisschen schade ist es schon, dass der hochklassige internationale Stabhochsprung-Wettbewerb in das neue Meeting integriert wird. Eine Idee wäre auch eine in dieser Disziplin rein nationale Konkurrenz im Rahmen des Voll-Meetings gewesen. Das internationale Meeting hätte weiter im August stattfinden können. Aber ein starkes und längst hoch angesehenes Spezial-Meeting als Zusatz zur Vollveranstaltung – das war dann wohl selbst für den Weltkonzern Bayer utopisch. Womöglich waren die „Stabhochsprung Classics“ aber auch schlicht das Zugpferd, das es gebraucht hat, um wieder von einem Voll-Meeting träumen zu können. Meeting-Direktor Michel Frauen hat das vielleicht nicht im Sinn gehabt, als er 2010 das „bessere Grillfest“ ins Leben rief. Dennoch ist er der Wegbereiter.

Die Nachricht aus Leverkusen tut gut und sie ist ein tolles, aber auch lange überfälliges Signal für die Zukunft. Wenn sich die Leichtathletik in der nationalen Sportszene behaupten will, müssen die großen Vereine vorangehen, meint

Daniel Becker

IAAF World Indoor Championships - Day Four

Surfer mit Stab

Köln, 9. März 2018

Die Stabhochspringer sind schon eine besondere Spezies. Das ganze Jahr über reisen die Sportler gemeinsam um die Welt, bestreiten die meisten Wettkämpfe aller Leichtathleten und sind dadurch längst zu einer intakten Gruppe zusammengewachsen, bei der man den Eindruck bekommt: Stabhochsprung ist nicht nur Sport, es ist auch Lifestyle. Der Umgang miteinander ist immer fair, der Ehrgeiz des Einzelnen deswegen aber nicht weniger ausgeprägt. Die Stabhochspringer der Gegenwart kommen mit einer lockeren Surf-Attitüde daher, die dem Sport an anderen Stellen noch fehlt. Gerade bei den Männern treffen sich Woche für Woche charismatische Köpfe, angeführt vom US-Amerikaner Sam Kendricks. Dessen Konkurrenz mit dem Franzosen Renaud Lavillenie hat allein sportlich schon das Potenzial zum Klassiker der Leichtathletikgeschichte; was fairen Umgang und Unterstützung untereinander angeht, sucht er in der internationalen Top-Leichtathletik seinesgleichen. Wer den Wettkampf in Birmingham gesehen hat, wird das nur bestätigen können.

Und so war es perfekt, dass ausgerechnet diese Disziplin die letzte der WM war, diejenige, die die Menschen vor den Bildschirmen und in der Arena mit einem guten Gefühl entlassen hat. Der ein oder andere, der nach dem Abtritt von Usain Bolt noch nach der Suche nach neuen Aushängeschildern der Leichtathletik war, mag dabei fündig geworden sein, meint

Daniel Becker

2018 Spar British Athletics Indoor Championships Day 2 Feb 18th

Wichtige Erfahrungen

Köln, 28. Februar 2018

Weder Athleten noch Verantwortliche lassen einen Zweifel daran: In diesem Jahr zählt nur die EM im eigenen Land. Alles, was 2018 in der Leichtathletik vor August stattfindet, ist nicht mehr als ein Schritt hin zum großen Ziel. Und es ist verständlich – auch die Fans fiebern hin auf den großen Höhepunkt im Wohnzimmer der deutschen Leichtathletik, dem Berliner Olympiastadion. Schon die WM in London hat die Zuschauer millionenfach vor die TV-Bildschirme gezogen, die Chancen stehen gut, dass die Zahlen während der Heim-EM noch höher ausfallen werden. Wo ordnet man da die am kommenden Wochenende stattfindenden Hallen-Weltmeisterschaften in Birmingham ein?

Die Hallen-WM ist die einzige Möglichkeit, sich in diesem Jahr mit der versammelten Weltelite im Rahmen einer Meisterschaft zu messen. Athleten wie beispielsweise Clemens Bleistein kann nichts Besseres passieren, als sich mit den internationalen Stars zu messen – gerade auch im Hinblick auf Berlin im August. Das Stichwort heißt: Wettkampfhärte. Die holt man sich nirgendwo so gut wie bei Meisterschaften. Auch für Kugelstoßer David Storl kann die WM nur gerade recht kommen, die Erinnerung an die schwachen Auftritte von London und Rio könnte nach erfolgreichem Abschneiden deutlich verblassen. Man kann nur spekulieren, wie viele der Athleten, die in Birmingham am Start sind, auch in Berlin dabei sein werden. Aber man kann davon ausgehen, dass sie von den Erfahrungen auf dem Weg nach Berlin noch zehren werden, meint

Daniel Becker

Leichtathletik Deutsche Leichtathletik Hallenmeisterschaften DM Hallen 17 18 02 2018 Helmut Kö

Wichtiger Spagat

Köln, 21. Februar 2017

Knapp zwölf Stunden volles Programm in zwei Tagen, 26 Entscheidungen, mehrere hundert Teilnehmer: Es war wieder ordentlich was los an diesem Wochenende bei der Hallen-DM in der Dortmunder Helmut-Körnig-Halle, und wer am Tag danach die Zeitungen aufgeschlagen hat, der hat viel über die tolle Stimmung und die großen Highlights von Klosterhalfen, Pinto und den Hürdensprinterinnen gelesen. Letzte Woche stand an dieser Stelle, dass über den Erfolg der Deutschen Hallenmeisterschaften nicht nur die sportlichen Höhepunkte, sondern auch die Tiefpunkte entscheiden würden. Nationale Meisterschaften gehören zu den wenigen Gelegenheiten im Jahr, bei denen man die Szene in ihrer Gesamtheit betrachten kann. Nach den Tagen von Dortmund lässt sich festhalten: Es gab mehr enttäuschende Disziplinen als absolute Höhepunkte – und dennoch war insgesamt eine Weiterentwicklung zu erkennen. Unter zwei Drittel der Disziplinen kann man zumindest den Stempel „Erwartungen erfüllt“ setzen (was wir auf den Seiten 4 und 5 auch getan haben). Sorgenkinder bleiben die 800 Meter der Männer, die ohne Vorlauf über die Bühne gingen, und auch im Dreisprung sieht es hinter Max Heß weiterhin ziemlich mau aus.

Es ist dieser Spagat, den die deutsche Leichtathletik im Jahr der Heim-EM hinbekommen muss: Sie muss allen berechtigten Optimismus in die Öffentlichkeit tragen, um für eine grandiose Sportart zu werben, und gleichzeitig darauf achten, dass vorhandene Probleme nicht aus den Augen verloren werden, meint

Daniel Becker

Karlsruhe Leichtathletik athletics Track and Field Karlsruhe indoor meeting 2018 IAAF World ind

Besonderer Blick

Köln, 14. Februar 2018

Die Hallensaison 2018 ist kurz, aber knackig. Viel ist passiert in den vergan­ genen anderthalb Monaten, die Prota­ gonisten sind bislang die gleichen wie im Vorjahr – Pamela Dutkiewicz (aus dem Training heraus) und Cindy Role­der (nach langer Verletzung gerade erst genesen) laufen über 60 Meter Hürden schon wieder ganz vorne in der Welt mit, die Flachsprinterinnen Gina Lückenkemper, Tatjana Pinto und Lisa Mayer stehen ihnen in nichts nach und über 1.500 Meter hört Konstanze Klos­terhalfen einfach nicht auf zu verblüf­fen. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis sie nach den vielen Rekorden in der Vergangenheit nun auch noch den deutschen Hallenrekord knackt.

Doch sollten die tollen Auftritte der Leistungsträgerinnen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch weiter­ hin Disziplinen in der deutschen Leicht­athletik gibt, in denen die Situation nicht so rosig aussieht. Ohne die star­ken Werfer hinken die Männer – mit einzelnen Ausnahmen wie Stabhochspringer Raphael Holzdeppe – auch wei­terhin international meist zurück. Viel problematischer ist aber noch, dass in manchen Disziplinen die Unterschiede in der nationalen Spitze weiterhin zu groß sind. Die Deutschen Hallenmeis­terschaften in Dortmund sollten deswe­gen nicht nur dazu dienen, die Stars zu feiern, sondern auch dazu, Probleme genau benennen und Verbesserungen angehen zu können, meint

Daniel Becker

Düsseldorf Deutschland Leichtathletik IAAF Indoor Meeting PSD Bank Leichtathletik Meeting Düssel

Zurück zu alter Stärke

Köln, 04.02.2018

Stabhochspringer Raphael Holzdeppe (LAZ Zweibrücken) ist wieder zurück! Bei der ersten Station der IAAF World Indoor Tour in Karlsruhe stellte der Weltmeister von 2013 mit übersprungenen 5,88 Metern nicht nur eine neue Weltjahresbestleistung auf, er knackte auch die Norm für die Hallen-Weltmeisterschaften in Birmingham (01.03.-04.03.). Seit einer schweren Fußverletzung, die er sich bei den Deutschen Hallenmeisterschaften in Leipzig im Jahr 2016 zugezogen hatte, musste Holzdeppe immer wieder Rückschläge verkraften, bei den Olympischen Spielen 2016 und auch bei den Weltmeisterschaften in London im vergangenen Jahr war er weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben.

Nun scheint der 28-Jährige wieder zu alter Stärke zurückgefunden zu haben. „Ich möchte unbedingt nach Birmingham, ich war ja immer noch nicht bei einer Hallen-WM“, erklärte er im Anschluss an seinen Sieg in Karlsruhe, der ihn auch im Rennen um den Gesamtsieg bei der vom Weltverband IAAF ausgerichteten World Indoor Tour in eine gute Ausgangsposition brachte.

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Mehr als ein Ansatz?

Köln, 08.02.2017

Neue Impulse braucht die Leichtathletik, diese Meinung hat IAAF-Präsident Sebastian Coe im vergangenen Jahr klar vertreten. Und auch, wenn der aktuellste Vorstoß nicht von ihm selbst, sondern von der britischen Leichtathletik kommt, dürfte der Lord darüber „very amused“ sein.

Und tatsächlich ist den Briten mit der Schaffung des Athletic World Cup auf den ersten Blick ein großer Coup gelungen. Die Rahmenbedingungen: Zwei Leichtathletik-Abende im (sicher ziemlich) vollen London Stadium, Athleten aus acht Top-Nationen, insgesamt zwei Millionen Dollar Preisgeld. Selbst die letztplatzierte Mannschaft darf noch 100.000 Dollar unter den ca. 45 startenden Leichtathleten aufteilen. Das ist für die meisten lukrativer als jedes Diamond-League-Meeting. Kann der World Cup zum Ziel werden, auf das internationale Top-Athleten hinarbeiten? Für dieses Jahr hat DLV-Cheftrainer Idriss Gonschinska verständlicherweise schon mal auf die Bremse getreten. Für die deutschen Leichtathleten liegt der Wettbewerb im Kalender denkbar ungünstig, nämlich im direkten Vorfeld von DM und Heim-EM, die natürlich das alles überstrahlende Highlight des Jahres werden soll.

Doch auch für den Fall, dass der World Cup eine Fortsetzung findet: In einem vollen und völlig zerstreuten Terminkalender kann man nicht einfach so ein neues Top-Event installieren. Im Chaos gehen manchmal auch die besten Ideen unter, meint

Daniel Becker

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Flasche leer

Köln, 01.02.2018

Der Film „Ikarus“ des US-amerikanischen Regisseurs Bryan Fogel ist wohl eine der besten Sportdokumentationen, die überhaupt je erschienen sind, und wenn die ARD-Reihe „Geheimsache Doping“ schon maßgebend war, um den Menschen – was die Ernsthaftigkeit in Sachen Dopingbekämpfung angeht – die Augen zu öffnen, dann hat „Ikarus“ dem Zuschauer auch noch den letzten Glauben ans Gute im Sport genommen.

So entlarvend „Ikarus“ war, im Verhältnis zur Explosivität der Inhalte sind die Konsequenzen, die bislang gezogen wurden, kaum der Rede wert. Das zeigt das aktuellste Beispiel: Eine Sicherheitslücke, die im Film zum ersten Mal bekannt wird und schon lange hätte geschlossen werden müssen, besteht offenbar auch weiterhin. Die Kontrollbehälter, in denen die Urinproben der Sportler aufbewahrt werden, sind noch immer mit einem nicht betrugssicheren Verschlusssystem versehen. Als wäre das allein nicht schon schlimm genug, ist es mal wieder das IOC, das sich in dieser Tragikomödie erneut um die Hauptrolle bewirbt. Konsequenzen? Fehlanzeige! Und so bleibt nur die Hoffnung, dass sich die nächsten Sportdokumentationen erst einmal nicht mehr mit Doping beschäftigen, sondern mit Korruption in Sportverbänden. Das scheint nämlich immer noch ein Thema zu sein, über das mächtige Funktionäre stolpern können. Sepp Blatter und Lamine Diack lassen grüßen. Erst danach besteht wohl die Hoffnung, auch im Anti-Doping-Kampf endlich einen Schritt nach vorne zu machen, meint

Daniel Becker