Tag : Budapest

Gina LUECKENKEMPER (SCC Berlin, GERMANY), 100m Women, 100m Frauen HUN, Leichtathletik, Athletics, World Athletics Champi

System hinterfragen

Köln, 5. September

Liebe Leserinnen und Leser,
ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber auch mit über einer Woche Abstand zu den Weltmeisterschaften sind diese für mich noch immer das beherrschende Thema. Schlicht zu groß war die Enttäuschung über das Abschneiden des DLV-Teams in Budapest, zu groß der Schmerz, der einen jeden, der es mit der deutschen Leichtathletik hält, überkommen hat. Gepaart mit der bitteren Erkenntnis, dass Deutschland im Vergleich mit der Weltelite tatsächlich nicht mehr konkurrenzfähig ist. Und diese Tatsache wird allen voran den DLV-Athleten besonders zusetzen, jenen Sportlern, die in Ungarn zum Teil über sich hinausgewachsen sind — im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Denn für die Ursachen dieses historischen Debakels sind in erster Linie andere verantwortlich. Das deutsche Leichtathletik-System scheint beschädigt, fehlerhaft. Offenbart Schwächen, die sich über die Jahre entwickelt haben. Droht der einstigen Medaillennation Deutschland gar der Absturz in die Bedeutungslosigkeit? Und an welchen Stellschrauben muss zwingend gedreht werden? Mit diesen Fragen haben wir uns in den Tagen seit der WM beschäftigt, mit den Meinungen und der Kritik der Experten. Gesprochen haben wir auch mit einem, der die Geschehnisse im Nemzeti Atlétikai Központ bestens einordnen kann: Ex-Zehnkämpfer Frank Busemann war die gesamten neun Wettkampftage als TV- Experte vor Ort und hat erlebt, wie sich etwa die Förderung, welche Leo Neugebauer in den USA erhält, in Budapest positiv bemerkbar gemacht hat. Auch ohne Medaille. Die Gesellschaft muss ihr Verständnis von Leistung jedenfalls grundsätzlich hinterfragen, meint Busemann, und stößt eine Diskussion an, welche über die Leichtathletik hinaus zu führen ist.

Alexander Dierke

 

World Athletics Championships Budapest 23; Hungary, 21.08.2023 Budapest, Hungary - August 21: Gina LUECKENKEMPER of GERM

Historisches Desaster

Köln, 29. August

Liebe Leserinnen und Leser,
nun stehen sie also in den Büchern, die Weltmeisterschaften in Budapest. Mit den globalen Titelkämpfen, nur ein Jahr nach der WM in Eugene, waren großen Hoffnungen verbunden. Hoffnungen darauf, dass es für das DLV-Team besser laufen würde als im Vorjahr. Wobei, das ist natürlich nur die halbe Wahrheit: Ein besseres deutsches Abschneiden als 2022 in den USA war nicht wirklich zu erwarten – zu sehr beherrschten Verletzungssorgen die Equipe des nationalen Verbandes, zu groß war bereits im Vorfeld die Erkenntnis, dass die deutschen Athleten gegen die Weltelite (meist) nur noch hinterherlaufen. Hinterherwerfen. Hinterherspringen. Doch es kam noch schlimmer. Null Medaillen. Der Salto Nullo. Die deutsche Leichtathletik hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Ein historisches Desaster, das so nicht einfach hingenommen werden darf. Die einstige Leichtathletik-Nation Deutschland, sie besteht gegen die Weltkonkurrenz nicht mehr. Dieses Bild darf auch nicht durch die zahlreichen Ausfälle oder manch starke Einzelleistung geschönt werden.
Die Ursachen dafür sind unterschiedlich wie vielschichtig. Aber: Das Ziel einer Rückkehr unter die Top Fünf der Nationenwertung bis 2028 scheint nach dieser WM endgültig realitätsfern. Begrenzte Fördermöglichkeiten, fehlende Lukrativität der Sportart sowie Trainingsmöglichkeiten, die etwa mit denen in den USA nicht mithalten können – es ist lediglich ein Teil der Probleme, denen sich nicht nur Leichtathletik- Deutschland, sondern ein Großteil der nationalen Sportwelt derzeit ausgesetzt sieht. Man muss an der Basis ansetzen, und der DLV muss sich von Grund auf hinterfragen. Das gilt auch für die Leistungsbewertungsgrenze, welche immer weiter nach unten zu rücken scheint.

Alexander Dierke

 

230820 Noah Lyles of USA celebrates after winning men™s 100 meter final during day 2 of the 2023 World Athletics Champio

Überraschungen erwünscht

Köln, 22. August

Liebe Leserinnen und Leser,
die WM ist in vollem Gange und lieferte an den ersten drei Wettkampftagen bereits so manche hochkarätige Entscheidungen. Pünktlich vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe stand am Montagabend noch das heiß erwartete 100-Meter-Finale der Frauen an. Bereits zuvor waren die Augen aus deutscher Sicht im Halbfinale auf Gina Lückenkemper gerichtet, groß war ihr Traum vom ersten WM-Finale. Ein Unterfangen, welches mit einer Zeit von 11,18 Sekunden nicht aufgehen sollte. Durchaus schade, besaß die Berlinerin ob ihrer bislang starken Saison im Vorfeld die Chance dazu. Im Finale sorgte dann wiederum die US-Amerikanerin Sha’Carri Richardson mit einer fulminanten Leistung (10,65 s) für einen überraschenden Sieg. Es war bereits die fünfte Goldmedaille für die USA bei der noch jungen WM, beeindruckend waren zuvor etwa auch die Leistungen von Sprinter Noah Lyles und Kugelstoßer Ryan Crouser. Es ist abermals ein starkes Bild, welches das Standing der Vereinigten Staaten in der Weltelite untermauert, die bereits in Eugene das medaillenstärkste Team gestellt hatten.
Die deutsche Equipe steht hingegen bislang noch ohne Edelmetall da. Sicher, das war irgendwo zu erwarten, und doch hofft man auf die ein oder andere Überraschung. Lichtblicke lieferten vor allem aber Geher Christopher Linke und Siebenkämpferin Sophie Weißenberg. Ganz unabhängig davon gilt das übrigens gauch für die Stimmung vor Ort: Ausverkaufte Ränge in Budapest sorgen für ein würdiges Bild.
Das DLV-Team muss indes nun liefern, sonst droht tatsächlich die zweite enttäuschende WM in Folge. Aber wer weiß, vielleicht haben – wenn Sie die neue Leichtathletik-Ausgabe in den Händen halten – die Diskuswerferinnen und Hochspringer Tobias Potye ja für erstes deutsches Edelmetall gesorgt. Ich würde es mir wünschen.

Alexander Dierke

 

European Championships Munich 2022, Europa Leichtathletikmeisterschaften München 2022, 12.08-21.08.2022, Olympiastadion

Letzter Feinschliff

Köln, 15. August

Liebe Leserinnen und Leser,
es ist soweit: Die Weltmeisterschaften in Budapest stehen unmittelbar bevor. Ab dem 19. August kämpfen die besten Athleten in der ungarischen Hauptstadt neun Tage lang um Edelmetall, ums Prestige und um die Erfüllung persönlicher Träume. Das gilt für unsere DLV-Athleten wie auch die internationalen Top-Stars. So eine WM bedeutet aber im Vorfeld auch immer Arbeit – für uns Journalisten und allen voran für die Athleten. Wir für unseren Teil haben in den vergangenen Tagen intensiv an dieser Vorschau-Ausgabe gearbeitet, auf insgesamt 13 Seiten versorgen wir Sie mit allen wichtigen Infos, die im Vorfeld der globalen Titelkämpfe wissenswert sind. Im Mittelpunkt stehen dabei natürlich besagte Sportler, für die es in den vergangenen Tagen galt, sich noch einmal intensiv auf die anstehenden Wettkämpfe vorzubereiten. Der DLV hat im Rahmen dessen sein Pre-Camp abermals in Erding aufgeschlagen, unter optimalen Bedingungen soll dort der letzte Feinschliff gelingen. Schließlich sind die Erwartungen der Öffentlichkeit nach der enttäuschenden WM im Vorjahr hoch, die Ausgangslage ist nicht zuletzt aufgrund der hohen Anzahl verletzter Athleten gedämpft. Chef-Bundestrainerin Annett Stein blickt den Meisterschaften dennoch optimistisch entgegen und ist mit ihren gewonnenen Trainingseindrücken zufrieden, wie sie uns im exklusiven Interview verraten hat.
Bleibt abschließend noch zu sagen, dass ich mich freue, dass wir in Person meines Kollegen Ewald Walker auch in diesem Jahr bei der WM wieder persönlich vor Ort vertreten sein werden. Aber jetzt ist die Vorfreude erstmal groß, dass es endlich los geht!

Alexander Dierke

 

Siegerin Gina LUECKENKEMPER (Lückenkemper)(SCC Berlin) Aktion, 100m Finale der Frauen, am 08.07.2023 Deutsche Leichtathl

Fragen über Fragen

Köln, 8. August

Liebe Leserinnen und Leser,
das deutsche Aufgebot für die Weltmeisterschaften in Budapest steht: 75 Athletinnen und Athleten gehören dem endgültigen Team an, welches der DLV am Montagnachmittag bekanntgegeben hat. Aus diesem herausstechen tun natürlich jene Lückenkempers und Kauls, die bereits im Nachgang der Deutschen Meisterschaften nominiert wurden. Doch, da geht es Ihnen sicherlich ähnlich wie mir und der gesamten Leichtathletik-Redaktion, der 7. August war ein Tag, dem man seit Wochen entgegengefiebert hat. Denn es gab durchaus noch so manche Fragezeichen, was die letzten Berufungen anbelangte: Wie würde die Situation bei Langstrecklerin Konstanze Klosterhalfen aussehen? Welche Newcomer würden ihr Flugticket für die am 19. August beginnenden Titelkämpfe buchen können? Die Antworten auf diese Fragen hat der Verband nun geliefert – „Koko“ ist bei der WM dabei, ebenso wie etwa Stabhochspringer Gillian Ladwig und Hindernisläuferin Olivia Gürth. Aber, und das ist natürlich längst kein Geheimnis mehr, es fehlen verletzungsbedingt auch zahlreiche Top-Athleten in der deutschen WM-Mannschaft. Ungefähr 20 Sportler umfasst dieses Lazarett, schmerzlich vermisst wird allen voran Weitsprung-Queen Malaika Mihambo. Das wirft bei mir tiefergehende Fragen auf: Was sind die Gründe für die zahlreichen Ausfälle, sind die Athleten womöglich überlastet, werden falsche Trainingsmethoden angewandt? Eine Materie, mit der sich in den nächsten Wochen einmal beschäftigt werden sollte. Besonders, falls die schwarz-rot-goldenen-Fahnen in Budapest ein weiteres Mal in der Versenkung verschwunden bleiben.
Blicken wir abschließend noch mal kurz auf einen WM-Hoffnungsträger: Speerwerfer Julian Weber. Was die Gründe dafür sind, dass es bei ihm derzeit so gut läuft, lesen Sie in unserem exklusiven Interview.

Alexander Dierke

 

Team Europameisterschaften 2023

Persönliche Einblicke

Köln, 1. August

Liebe Leserinnen und Leser,
wie tickt eigentlich eine der größten derzeitigen Medaillenhoffnungen im DLV-Team? Und wie am besten umgehen mit dem dementsprechend geäußerten Erwartungsdruck der Öffentlichkeit? Fragen, die mich persönlich bei einer deutschen Athletin aktuell ganz besonders interessiert haben: Kristin Pudenz. Die Athletin des SC Potsdam besticht nicht nur mit ihrer Weltklasse im Diskuswurf, sondern darüber hinaus auch mit ihrer sympathischen Art abseits des Sports. Im exklusiven Interview hat uns die 30-Jährige Einblicke in ihren Entwicklungsprozess als Spitzensportlerin gewährt und scheint für die Titelkämpfe in Budapest mehr als gewachsen. Nicht nur hat Pudenz in der Aufarbeitung ihrer enttäuschenden Final-Platzierung (Rang elf) im vergangenen Jahr in Eugene gelernt, mit Niederlagen umzugehen, sondern diese vielmehr ins Positive umzumünzen. In dieser Saison könnten die Vorzeichen für eine Medaille bei der fünfmaligen Deutschen Meisterin kaum besser sein. Das gilt bekanntlich leider derzeit für die meisten deutschen Disziplinen nicht, vor allem die Attraktivität der Leichtathletik müsse für junge Athleten wieder gesteigert werden, teilt Pudenz auch dazu ihre Gedanken.
In Budapest wird sich in knapp zweieinhalb Wochen mit aller Deutlichkeit zeigen, wo die deutschen Athleten derzeit tatsachlich stehen. Der Oualifikationszeitraum dafür endete am 30. Juli, in den kommenden Tagen wird der DLV die letzten WM-Fahrer nominieren Dahei sein werden dann neben Pudenz auch Diskus-Kollegin Claudine Vita und Stabhochspringer Oleg Zernikel – beide sicherten sich das begehrte Ticket mit ihren Auftritten bei den True Athletes Classics in Leverkusen.

Alexander Dierke

 

Siegerin Gina LUECKENKEMPER (Lückenkemper) SCC Berlin/ 1.Platz). Finale 100m der Frauen am 25.06.2022 Deutsche Leichtath

Spannung in der WM-Quali

Köln, 9. Mai

Liebe Leserinnen und Leser,
im vorolympischen Jahr gibt es für die meisten Top-Athletinnen und -Athleten vor allem ein Ziel: sich für die WM in Budapest zu qualifizieren und dort bestmöglich abzuschneiden. Dafür arbeiten die deutschen Spitzensportler hart und konsequent. Doch dass dies keine Garantie auf Erfolg ist, zeigt sich zum Start in diese Freiluftsaison einmal mehr. Wie bei Alina Reh und Hanna Klein. Die beiden Top-Läuferinnen traten als Favoritinnen bei der Langstrecken-DM in Mittweida an, um dort auf Titeljagd zu gehen und zugleich die WM-Norm zu erfüllen. Funktioniert hat das nicht, sowohl Klein als auch Reh mussten im 10.000-m-Rennen dem hohen Tempo Tribut zollen; den Titel eroberte schließlich „Außenseiterin“ Domenika Mayer. Doch für Reh und Klein wird es weitere WM-Chancen geben.
Für einen frühen Saisonstart entschied sich Konstanze Klosterhalfen beim Auftakt-Meeting der Diamond League. Zwar konnte die Europameisterin im 1.500-m-Rennen in Doha nicht im Kampf um die Spitzenplätze eingreifen, war mit ihrem Auftritt aber zufrieden. Ihre Erkenntnis: Es gibt noch Arbeit, um die Form zu erreichen. Wie es wiederum um die Form von Gina Lückenkemper bestellt ist, erzählt sie uns im Interview dieser Ausgabe. Die Ausnahme-Sprinterin trainiert in Florida ihre Stärken, arbeitet aber ebenso fokussiert an ihren Schwächen. Zum Lohn schaffte Lückenkemper den besten Saisoneinstieg ihrer Karriere, wie sie uns berichtet.
So individuell die Wege sind, welche die Athleten für ihren Saisoneinstieg wählen – den einen Erfolgsweg gibt es nicht. Insofern freuen wir uns auf spannende Wochen im Kampf um die WM-Qualifikation, bis am 19. August in Budapest der Startschuss fällt.

Frank Schwantes Portrait

Frank Schwantes

 

Sympathisch und erfolgreich

Köln, 28. März

Liebe Leserinnen und Leser,
die Hallensaison brachte uns eine Premieren-Europameisterin, Hanna Klein. Im Gespräch gibt die Mittel- und Langstreckenläuferin, die zurzeit für ein Trainingslager in Südafrika weilt, spannende Einblicke zu ihrem Gold-Lauf über 3.000 Meter – einem der aus deutscher Sicht packendsten Wettkämpfe der jüngeren Leichtathletik-Historie. Von Nervosität über Übelkeit bis zur absoluten Ekstase nach dem Zieleinlauf: Die sympathische Athletin erlebte einen Tag voller Auf und Abs. Auch fast einen Monat nach ihrem EM- Triumph war ihr die Freude über das in Istanbul Erreichte anzuhören.

Nun hat die Athletin des LAV Stadtwerke Tübingen ihren Fokus auf die Freiluftsaison gerichtet. In Südafrika trainiert Hanna Klein gemeinsam mit Alina Reh und anderen an den Grundlagen für einen erfolgreichen Sommer. Dann wird sie sich sowohl bei den Deutschen Meisterschaften in Kassel als auch – so ihr Plan – bei den Weltmeisterschaften in Budapest vermutlich erneut mit Konkurrentin und Freundin Konstanze Klosterhalfen messen.

Und wer weiß, vielleicht gelingt den beiden deutschen Läuferinnen bei den anstehenden Titelkämpfen im August der nächste großen internationale Triumph. Einen Doppelerfolg wie bei der Hallen-EM würden sowohl Klein wie auch Klosterhalfen mit Sicherheit unterschreiben – egal, wer im Endeffekt den Platz ganz vorne erreichen wird.

 

Robin Josten