Köln, 2. Juli
Liebe Leserinnen und Leser,
Armin Hary war es, der 1960 als erster deutscher Athlet handgestoppte 10,0 Sekunden lief. Seitdem ist vieles passiert. Generationen von 100-Meter-Sprintern haben der Deutsche Leichtathletik-Verband und die Fans erlebt, doch so nah wie Hary kam der Durchbrechung der magischen Zehn-Sekunde-Marke seitdem niemand mehr. Und dann das: Der Hamburger Owen Ansah läuft bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig tatsächlich als erster DLV-Sprinter eine Neuner-Zeit. 9,99 Sekunden – ein Sprint in die deutschen Sportgeschichtsbücher. Und wie merkt der glückliche Athlet selbst richtig an: Der Rekord wird ihm eines Tages ein anderer womöglich entreißen, doch der Vorstoß in neue Sphären wird für immer mit seinem Namen verbunden bleiben. Nach langer Verletzungspause ist der Triumph gar noch einmal bemerkenswerter, doch vielleicht war es genau diese „Auszeit“, die ihm gutgetan hat. Der 23-Jährige vernimmt bei sich selbst jedenfalls einen Entwicklungsschub. Deutschland hat mit Ansah, Joshua Hartmann – der bei der DM mit Einstellung seiner PB von 10,06 Sekunden ebenfalls ein starkes Rennen ablieferte – und Gina Lückenkemper gestandene Sprinter. Im Vergleich zu anderen Disziplinen lässt sich hier bei den Besten tatsächlich über die Jahre ein Leistungssprung ausmachen. Und dennoch bedarf es einer gesunden Bewertung des Ganzen. Denn im Weltvergleich können auch diese 9,99 Sekunden keine Medaillen bescheren. Das weiß Ansah auch selbst, und diese gesunde Selbsteinschätzung steht ihm definitiv gut zu Gesicht. Die deutsche Leichtathletik hat mit ihm jedenfalls einen Gewinn, und ja, man darf sich auf sein Auftreten bei Olympia freuen. Dass Owen Ansahs Rekord in den Medien große Aufmerksamkeit fand, zeigt zudem: Gute Leistungen deutscher Athleten sind sehr wohl noch immer über die Grenzen der Sportart hinweg gerne gesehen.
Alexander Dierke