Category : Allgemein

Nicht so schüchtern

Nicht so schüchtern

Köln, 22. Juli 2016

„Ich habe diese Regeln nicht gemacht. Ich muss damit nur umgehen. Und ich respektiere jede Entscheidung. Ich habe nicht zu kommentieren, ob das nun die richtige Entscheidung ist oder nicht.“ Das sagte der jamaikanische Top-Sprinter Usain Bolt, nachdem der Internationale Sportgerichtshof CAS die Sperre der russischen Leichtathleten für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro bestätigt hatte. Damit hat Bolt die Chance verpasst, sein Profil – nicht als Sportler, aber als Sportpersönlichkeit – zu schärfen. Eine klare Meinungsäußerung des weltweit größten Superstars der Leichtathletik hätte der Debatte gut getan – ganz egal, ob Bolt damit den Bann gegen die russischen Leichtathleten befürwortet oder abgelehnt hätte.

Daniel Becker

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Next Generation

Next Generation

Köln, 21. Juli 2016

Dreispringer Max Heß sowie die Sprinterinnen Gina Lückenkemper und Lisa Mayer haben einiges gemeinsam: Alle drei kamen im Jahr 1996 auf die Welt, gehören aktuell zum Besten, was Deutschland in diesen Disziplinen zu bieten hat, und werden im kommenden August bei den Olympischen Spielen mit -(Staffel-)Medaillenchancen an den Start gehen. Schon einmal haben die drei Athleten den gemeinsamen Medaillencoup geschafft: bei den U20-Weltmeisterschaften 2014 im US-amerikanischen Eugene/Oregon – Heß mit Silber, Lückenkemper und Mayer mit Staffel-Bronze. Es waren Startschüsse für drei international erfolgreiche Karrieren.

Nun geht es wieder los, in dieser Woche- finden im polnischen Bydgoszcz die nächsten U20-Weltmeisterschaften statt. Und wieder ist eine Reihe vielversprechender DLV-Athleten am
Start. Die Frage lautet also: Wer tritt in die Fußstapfen der letzten erfolgreichen U20-Generation um Heß, Lücken-kemper und Mayer?

Mein Tipp: Die drei heißesten DLV-Eisen im Feuer heißen in diesem Jahr Konstanze Klosterhalfen, Jan Ruhrmann und Niklas Kaul. Oder glauben Sie eher an Diskuswerfer Clemens Prüfer, Kugelstoßerin Alina Kenzel und Weitspringerin Sophie Weißenberg? So oder so: Die Ausgangsposition für erfolgreiche Weltmeisterschaften könnte kaum besser sein, meint

Daniel Becker

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Ein klares Jein – Contra

Ein klares Jein – Contra

Köln, 14. Juli 2016

Zur Olympia-Nominierung von Christina Obergföll

„Die Form spricht für Molitor“

Katharina Molitor klagt. „Der DOSB hat uns damit keine andere Wahl gelassen“, sagte ihr Anwalt Paul Lambertz der Rheinischen Post. Über den Weg der Leverkusenerin vor Gericht kann man sicherlich streiten. Doch ihre Aufgebrachtheit ist verständlich.

„Unsere Philosophie ist, dass die Leistungen, die der Nominierung zugrundeliegen und eine Endkampfchance begründen sollen, nicht Monate oder Jahre her sein sollen, sondern aktuell gezeigt worden sein sollen“, erklärte Michael Vesper, Vorstandschef des Deutschen Olympischen Sportbundes, als Reaktion auf das juristische Vorgehen der Weltmeisterin von Peking.

Doch es ist nicht gerade die aktuelle Form, die für Katharina Molitor spricht?

Zugegeben: Die letzte starke Weite der nun für Rio nominierten Christina Obergföll liegt mit 63,96 Metern bei den Badischen Meisterschaften Anfang Juli nicht allzu lange zurück. Doch die Auftritte der Offenburgerin in der jüngsten Vergangenheit lassen eins besonders vermissen: Konstanz auf hohem Niveau. Wenige Tage später nach den Badischen Meisterschaften war Obergföll beim Meeting in Oslo nicht über Rang drei und 61,63 Meter hinausgekommen, bei der DM in Kassel hatte es sogar nur zu Platz vier und zu keinem einzigen Versuch über 60 Meter gereicht. Bei einem Meeting in ihrer Heimatstadt am vergangenen Sonntag hätte sie noch einmal die Chance gehabt, selber eine ansteigende Formkurve nachzuweisen. Doch Obergföll sagte den Start ab.

Anders die Situation bei Katharina Molitor. Deren Formkurve zeigte in den letzten Wochen konstant nach oben:
Bei den Deutschen Meisterschaften in Kassel war sie auf Rang zwei und mit 62,68 Metern deutlich vor ihrer Offenburger Konkurrentin gelandet, wonach es für sie – zur Belohnung und trotz schwächerer absoluter Bestweite– im Gegensatz zu Obergföll zur EM nach Amsterdam ging. Dort belegte Molitor mit neuer Saisonbestleistung von 63,20 Metern Rang vier. Obergföll musste sich die Wettkämpfe in Amsterdam währenddessen von zu Hause aus anschauen. Klingt eigentlich nach einer klaren Sache. Letztlich scheint Obergfölls Leistung bei den Badischen Meisterschaften bei der Nominierung den Ausschlag zu ihren Gunsten gegeben zu haben. Michael Vesper spricht von Leistungen, die „eine Endkampfchance begründen sollen“. Damit macht er eine Rechnung auf, in die nur starke Leistungen einbezogen und schwache Leistungen außen vor gelassen werden. Gut möglich, dass diese Rechnung am Ende nicht aufgeht.

Daniel Becker

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German Championships In Athletics - Day 2

Ein klares Jein – Pro

Köln, 14. Juli 2016

Zur Olympia-Nominierung von Christina Obergföll 

„Bitte keine Diskussion über Weitengleichheit“

Da ham se den Salat! Die Speerwerferin Katharina Molitor vom TSV Bayer Leverkusen will ihre Teilnahme an den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro erzwingen. Und so die Kollegin Christina Obergföll  von der LG Offenburg rausdrängen.

Molitor argumentiert, warum ihr der dritte Speerwurfplatz zustehe. Ihr Anwalt ist fürs Drohen zuständig. Setzt Frist. Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) lässt die verstreichen. Und nun geht’s vor Gericht. Verband gegen frustrierte Athletin, na super!

Egal! Was aber sollte als Grundlage fürs Urteil auf den Richter-Tisch? Ich sag mal: Weiten 2016!

Das bedeutet nach DLV-Rangliste, also nach Standard-Währung: 1. Christin Hussong, 66,41 m; 2. Linda Stahl, 65,25 m, 3. Christina Obergföll, 64,96 m,; 4. Katharina Molitor, 63,20 m. Kladde zu! 

Okay, in der IAAF-Weltrangliste, die in ihrem Ranking alle Würfe registriert, finden sich in der Aufzählung 1 bis 162 … Obergföll, 64,96 m, Molitor 63,20m,  Molitor, 62,86 m; Obergföll, 62,75 m; Obergföll, 62,36 m; Molitor, 62,12 m; Molitor, 62,01 m, … Ende. Also 4:3 für Molitor.

Geht also Menge vor absoluter Weite?

Mmmmhh, wie läuft das denn am 18. August 2016 ab 21.10 Uhr im Speerwurf-Finale der Frauen. Gewinnt die Frau mit den meisten Würfen über, sagen wir mal, über 65 Meter? Oder die, die den Speer einmal über 66,50 Meter geballert hat?

Ach so, jetzt bitte keine Diskussion über Weitengleichheit 😉

Fred Wipperfürth

F.Wipperfürth

Nominierungsärger

Nominierungsärger

Köln, 13. Juli 2016

Der endgültige Kader für die Olympischen Spiele in Rio steht. Das konkurrenzfähige Leichtathletik-Team, das am Zuckerhut um die olympischen Ehren kämpfen wird, umfasst demnach 92 Olympioniken. Wie in jedem Jahr haben auch in diesem viele weitere DLV-Athleten die geforderten Normen erfüllt, müssen allerdings aufgrund des maximalen Kontingents von drei Startplätzen pro Disziplin in Deutschland bleiben. Das führte unweigerlich zu schweren Entscheidungen und großer Enttäuschung bei den Nicht-Berücksichtigten. So traf es zum Beispiel die Speerwurf-Weltmeister Katharina Molitor, der Christina Obergföll vorgezogen wurde. Oder den Speerwerfer Lars Hamman, der trotz einer Saisonbestleistung von 85,67 Meter der starken nationalen Konkurrenz weichen musste.

Das ist bitter, aber der Lauf der Dinge. Doch eine Frage, die die Sprinterin Inna Weit nach ihrer Nicht-Berücksichtigung zurecht in den Raum warf, muss gestattet sein: Warum wurden bei den Männern acht Sprinter nominiert und bei den Frauen der Zunft nur sieben? Noch dazu erfüllten Robert Hering, Sven Knipphals, Robin Erewa, Roy Schmidt und Alexander Kosenkow weder über 100 noch über 200 Meter die Norm – sie alle sind aber für die 4×100 Meter Staffel nominiert. Auch diese Entscheidung sorgte im Übrigen für Gesprächsstoff. Beim ASV Köln traf die Nominierung, die in Peter Emelieze den Siebten der deutschen Bestenliste und dritten der Deutschen Meisterschaften von Kassel außen vor ließ, auf Unverständnis. Der Verein hat um eine Begründung des Verbandes gebeten, überhaupt sei laut ASV die Kommunikation schon im Vorfeld nicht die Beste gewesen.

Aber zurück zu Inna Weit. Die Sprinterin vom ART Düsseldorf knackte anders als fünf der acht nominierten Männer zweimal die DLV-Vorgabe – zumindest über 200 Meter. Sie hätte also eine formelle Berechtigung, in Rio mit von der Partie zu sein. Wenn schon nicht als Einzelstarterin, wo doch Gina Lückenkemper, Lisa Mayer und Nadine Gonska über 200 Meter auf dem Tartan schneller unterwegs waren in diesem Jahr, dann wenigstens als Ersatzläuferin für die 4×100-Meter-Staffel, als erfahrene achte Frau. Olympia ist ein irres Erlebnis, für viele Sportler das größte der gesamten Laufbahn. Wenn man als Athlet die Norm unterbietet, darf man sich berechtigte Hoffnungen auf eine Teilnahme machen. Dafür sind Normen da. Und gerade im Sprintbereich können durch die Staffeln vermeintlich geplatzte Träume aufgefangen werden. Warum wurde bei den Frauen also nicht das Maximum ausgereizt? Eine Frage, die Klärung bedarf, meint

Tim Kullmann

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Mehr Klarheit!

Mehr Klarheit!

Köln, 12. Juli 2016

Christina Obergföll wurde vom DOSB für die Olympischen Spiele nominiert. Die Entscheidung, ob sie oder die Leverkusenerin Katharina Molitor mit nach Rio fahren sollen war eine, die ein grundsätzliches Problem aufgeworfen hat. Unabhängig davon, wie die Entscheidung nun ausgefallen ist und wie sie begründet wurde: Es wäre fair gewesen, im Vorfeld der Nominierung mit offenen Karten zu spielen. So hatten beide Athletinnen das Gefühl, sich im Vorfeld verbal in Stellung bringen zu müssen: „Das ist natürlich etwas anderes, ob ich einen Stadtwettkampf mache, der ein bisschen auf einen ausgerichtet ist, oder bei einer Meisterschaft starte“, erklärte Molitor in Richtung ihrer Konkurrentin, die am Sonntag einen Start in Offenburg geplant hatte, kurzfristig aber noch absagte.

Der Grund: Sie sah sich ohnehin vorne: „Alle Fakten sprechen für mich. Ich habe mit 64,96 Metern und 63,96 Metern zwei Weiten, die deutlich über Katharina Molitors Saisonbestleistung liegen.“ Anders ausgedrückt: Nach Molitors viertem Platz bei der EM wollte Obergföll nicht das Risiko eingehen, mit einem schwächeren Wettkampf Argumente gegen sich zu sammeln. Im Vorfeld der EM wäre es von Seiten des DLV richtig gewesen, mit den Athletinnen das Gespräch zu suchen und klarzumachen, welche Szenarien welche Folgen nach sich ziehen. Am allerbesten wäre es jedoch gewesen, die Athleten hätten schon im Vorfeld gewusst, welche Kriterien am Ende für eine Nominierung zu welchem Teil ausschlaggebend sind, meint

Daniel Becker

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Dafnes Festspiele

Dafnes Festspiele

Amsterdam, 10. Juli 2016

Die 23. Europameisterschaften sind Geschichte Aus der Masse starker europäischer Athleten stach eine Athletin heraus, die im Amsterdamer Olympiastadion ein Sprint-Feuerwerk nach dem nächsten zündete und sich abseits der Bahn als perfekte Repräsentantin der Leichtathletik präsentierte.

Dafne Schippers war der große Star der Europameisterschaften. Damit war zwar schon im Vorfeld zu rechnen gewesen, doch wie sich die 24-jährge Niederländerin in den Tagen von Amsterdam präsentierte, gab der europäischen Sprint-Queen noch einmal mehr Profil. Nicht nur lief sie ungefährdet zum Titel über 100 Meter und führte auch die 4×100-Meter-Staffel zum Sieg – sie zeigte, dass sie in der Lage ist, unter größtmöglichem Druck hervorragende Leistungen zu zeigen.

Während ohnehin alle niederländischen Athleten von den Fans im in Oranje getauchten Olympiastadion frenetisch begrüßt und angefeuert wurden, nahm der Feierrausch bei den Auftritten von Schippers noch einmal andere Dimensionen an. Doch mit der Begeisterung ging für die Sprinterin auch ein hoher Druck einher. Doch Schippers hat gezeigt, dass sie aus sportlicher Sicht die Last großer Erwartungen auf ihren Schultern tragen kann. Viel mehr noch aber zeigte sie auch im Umgang mit Fans, Konkurrentinnen und Medien einen tadellosen Umgang.

Das Beste Beispiel: Im Finale über 100 Meter verletzte sich die Britin Desiree Henry schwer und blieb mit schmerzverzerrtem Gesicht auf der Bahn liegen. Schippers hatte schon längst die niederländische Fahne aus von den Rängen entgegengenommen und wollte sich zur wohlverdienten Ehrenrunde aufmachen. Die Last nach dem erfolgreichen Titelgewinn war abgefallen, Schippers hatte allen Grund zum Feiern – und tat dies später auch ausgiebig. Ihr erster Weg führte allerdings zur verletzten Henry, erst als sich die Niederländerin vergewissert hatte, dass ihrer Konkurrentin die nötige Aufmerksamkeit des medizinischen Personals zu Teil wurde, setzte sie ihre Runde fort.

Dafne Schippers wird schon lange von den Leichtathletik-Fans geschätzt. Bei der EM in Amsterdam hat sie an Respekt noch dazu gewonnen.

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Daniel Becker

Familienfest

Familienfest

Köln, 1. Juli 2016

Vielleicht denken auch Sie immer mal wieder über die Frage nach, was die Leichtathletik so besonders macht – und Sie werden schon viele Antworten gefunden haben. Eine ganz besondere Antwort auf diese Frage gab es bei den Leverkusener Stabhochsprung Classics am vergangenen Freitag: Es ist ein toller Sommertag. Schon seit dem Nachmittag sitzen viele Besucher links der Hauptanlage auf Bierbänken beim Gespräch zusammen (Straßenfestseite), gegenüber sichern sich andere auf einer kleinen Holztribüne (Sonnenseite) die besten Plätze fürs Hauptprogramm. Reges Treiben auf der gesamten Anlage.

Ein Kölsch (vom Fass) hier, eine Bratwurst (bio!) dort, die Kinder toben auf dem Rasen. Ulrike Nasse schlendert mit ihrem Ehemann über die Anlage und trifft Heike Meier-Henkel. Herzliche Begrüßung (Küsschen links, Küsschen rechts). Schwenk ins Publikum (Straßenfestseite): Katharina Bauer, den linken Arm nach Operation in Gips, schaut gemeinsam mit ihren Eltern den männlichen Kollegen zu. Gegenüber (Sonnenseite) hat nun auch Speerwurf-Weltmeisterin Katharina Molitor Platz genommen. Ein sehr prominent besetztes Familienfest. Einzig: Dem frisch gezapften Kölsch zum Abschluss fehlt die Schaumkrone. Aber das ist o.k., man weiß, dass Barkeeper Robin Schembera andere Kernkompetenzen hat. Was macht die Leichtathletik so besonders? Sie ist nahbar. Sie kann, im besten Fall, familiär sein. Daraus sollte sie immer wieder ihre Stärke ziehen, meint

Daniel Becker

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Etappe auf dem Weg nach Rio

Etappe auf dem Weg nach Rio

Köln, 24. Juni 2016

Die 116. Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften sind Geschichte. Die Stimmung hätte besser kaum sein können, die Windbedingungen schon. Obwohl der Fokus bei vielen Athleten eher auf der Qualifikation für Olympia in Rio denn auf der Jagd nach DM-Medaillen lag, haben auch diese Wettkämpfe wieder Momente hervorgebracht, die ihren Platz in den Geschichtsbüchern finden werden.

„Ich habe mich körperlich nicht so gut gefühlt. Aber wir bereiten uns auf Olympia vor, deshalb sehe ich das nicht so eng“, sagte Diskuswerferin Julia Fischer, nachdem ihr, als Favoritin in den Wettkampf gestartet, am Ende hinter Nadine Müller nur der Silberrang geblieben war. Weitspringerin Alexandra Wester wollte sich vor ihrem letzten Versuch noch einmal motivieren und Platz eins angreifen. Nachher erklärte sie, was ihr dabei durch den Kopf gegangen war: „Komm, hier geht es um was. Es geht um Olympia.“ Nun gut. Die Jahresbeste Julia Fischer zeigte sich nicht besonders betrübt darüber, am Titel vorbei geworfen zu haben, da sie sich, wie sie ebenfalls zu Protokoll gab, aufgrund ihrer Vorleistungen recht sicher in Rio de Janeiro wähnt. Und Alexandra Wester dachte vor ihrem letzten Versuch sogar, nicht in Kassel, sondern schon am Zuckerhut zu sein. Spaß beiseite.

Die Olympischen Spiele sind das größte Sportereignis der Welt. Für die Sportler und auch für die Fans. Und so waren die 116. Deutschen Meisterschaften in Kassel eine Veranstaltung, bei der es – vor allem aufgrund der Regelung, dass die Erstplatzierten mit erfüllter Norm einen Startplatz für Olympia sicher haben – um mehr ging, als um Gold, Silber und Bronze. Die DM als Zwischenstation auf dem Weg zu Olympia. Doch weder Julia Fischer oder Alexandra Wester noch den anderen Athleten, die in der Analyse der Wettkämpfe ihre ganz persönlichen olympischen Ziele in den Vordergrund stellten, kann man vorwerfen, die Meisterschaften so betrachtet zu haben.

Eine logische Folge aus dieser auf Olympia fixierten Herangehensweise ist allerdings: Die DM wird in ihrer Bedeutung herabgestuft. Auch in Jahren, in denen eine EM oder eine WM die internationalen Top-Höhepunkte darstellen, geht es bei den nationalen Meisterschaften um Qualifikationen und um Formaufbau. Doch nie ist das so deutlich zu spüren, nie steht es so offensichtlich im Mittelpunkt wie in olympischen Jahren. Unattraktiver sind die 116. Deutschen Meisterschaften in Kassel deswegen nicht geworden. Sie waren nur auf eine andere, auf eine – positiv ausgedrückt – zusätzliche Art und Weise attraktiv.

Großes Lob für das Publikum

Was waren es also für Meisterschaften, diese 116. in Kassel? Es waren Meisterschaften, die alle nötigen Zutaten beinhalteten: viele Höhepunkte und gute Leistungen, derbe Enttäuschungen, ein paar Überraschungen und einen feierlichen Abschied. Auch den einen Moment, der noch lange im Gedächtnis der Zuschauer bleiben wird, hat es gegeben. In einigen Punkten waren es aber auch umstrittene Meisterschaften. Zu all dem später mehr. Denn vor allem waren es über das gesamte Wochenende stim­mungs­volle Meisterschaften. An zwei Tagen kamen insgesamt 28.700 Zuschauer ins Kasseler Auestadion.

In Nürnberg hatten im vergangenen Jahr an drei Tagen (inklusive Weitsprung-Prolog auf dem Hauptmarkt) 47.750 Zuschauer den Weg zu den Wettbewerben gefunden – in einem deutlich größeren Stadion mit kaum besetzten Oberrängen. Stimmungsmäßig waren die Meisterschaften in Kassel eine Steigerung zum Vorjahr. Das kam auch bei den Athleten so an, von Gesa Krause („Ich bin immer noch geflasht, wie die Zuschauer dabei waren“) über Cindy Roleder („Das macht extrem viel Spaß“) bis zu Thomas Röhler („Es war ein schönes Erlebnis, ein super Publikum und tolle Stimmung“) machten die Sportler das aufmerksame und toll unterstüt­zende Publikum für ihre guten Leistungen mitverantwortlich. Dennoch waren mit der Vergabe der DM nach Kassel in einem olympischen Jahr nicht alle Athleten glücklich. In der besonderen Situation, früh in der Saison Normen erreichen zu müssen, kritisierte unter anderem Hürdensprinterin Nadine Hildebrand die Vergabe der Meisterschaften ins Auestadion: „Die Deutschen Meisterschaften sind für uns ja ein großes Nominierungskriterium.

Da ist es ein bisschen schade, dass man sie in ein Stadion gegeben hat, wo man weiß, dass es mit dem Wind Probleme geben könnte.“ Tatsächlich spielte der Wind vor allem am Samstag eine große Rolle bei den Sprints: Vor- und Zwischenläufe über 100 Meter sowie über die kurzen Hürdenstrecken fanden durchgehend bei starkem und teilweise in Böen auftretendem Gegenwind statt. Auch auf den Weitsprung der Frauen hatten die Bedingungen Auswirkungen: Malaika Mihambo gewann den Titel in 6,72 Metern und sprang damit EM- und Olympianorm. Bei 2,5 Metern Rückenwind pro Sekunde geht diese Leistung allerdings nicht in die Bestenlisten ein. Offiziell hat Mihambo außer dem Titel nun nichts in der Hand. Am Mittwich nach den Meisterschaften kam dann aber die für Mihambo beruhigende Nachricht: Der DLV hat sie für die Europameisterschaften in Amsterdam nominiert.

Zwei absolute Highlights

Christin Hussong hätte es durchaus verdient gehabt, dass ihre Leistung am Ende des Wochenendes als der größte Moment der Meisterschaften in Erinnerung bleibt. Sie warf ihren Speer auf unglaubliche 66,41 Meter und gewann damit den mit Spannung erwarteten Wettbewerb – deutscher U23-Rekord, Rang 2 in der Weltjahresbestenliste und Olympiaqualifikation inklusive. Doch ein Mann stahl ihr kurz nach ihrem Traumversuch doch noch die Show: Robert Harting. Die große Frage lautete vor dem Wochenende: Wie stark ist der Diskus-Olympiasieger nach langer Verletzungspause und mit nur wenigen in diesem Jahr absolvierten Wettkämpfen? Die Antwort: So stark, um im letzten Versuch aus Platz 2 doch noch Rang 1 zu machen, mit einer Weite, die man noch aus seinen besten Zeiten kennt (68,04 m). Seine persönlichen „Armaged­don-Meisterschaften“, wie er die DM in Kassel im Vorfeld bezeichnet hatte, hat Harting gewonnen.

Das Ticket nach Rio ist ihm sicher. Sein Freudenausbruch nach dem letzten Versuch – als er wild über die Anlange tanzte und man sich im Nachhinein wundern muss, dass er sein Trikot nicht aus alter Gewohnheit zerriss – zeigte, wie viel Anspannung von dem Rückkehrer abfiel. Doch die Zuschauer im Auestadion konnten nicht nur bei spannenden Wettkämpfen mitfiebern, sondern sie erlebten auch, wie bitter enttäuschte Athleten ihr anvisiertes Ziel verfehlten. Besonders hart traf es Hochspringerin Ariane Friedrich, die sich beim Einspringen eine Knieverletzung zuzog, sich dann doch noch bis zu ihrer Saisonbestleistung von 1,84 Metern durchbeißen konnte, am Ende aber wegen immer stärkerer Schmerzen aufhören musste. Bei der Untersuchung am nächsten Tag bewahrheiteten sich ihre Befürchtungen: Der Traum von Rio ist geplatzt. Ein Knorpelschaden, der bereits operativ behoben wurde, lässt in nächster Zeit keine weiteren Starts zu.

Normen, Überraschungen und Absagen

Die Vorbereitung auf Olympia und die Jagd nach Normen spielten in Kassel für viele Athleten die größte Rolle. Fünf Sportler konnten bei der DM dann auch tatsächlich die vorgegebenen Richtwerte knacken. Hürdensprinter Matthias Bühler, der überraschend das Finale über 110 Meter Hürden gewann (13,44 sec), kann durch den Titelgewinn sogar schon sicher mit der Teilnahme in Rio planen, Lena Urbaniak mit neuer persönlicher Bestleistung von 18,02 Metern und eine im Vorlauf über 800 Meter fabelhaft aufgelegte Fabienne Kohlmann (2:00,49 min) sind zumindest in einer hervorragenden Ausgangsposition. 200-Meter-Sprinterin Nadine Gonska trumpfte zunächst im Vorlauf auf und erfüllte in 23,16 Sekunden die Norm, kratzte kurze Zeit später dann im Finale sogar an der 22-Sekunden-Marke und belohnte sich für ihren Lauf in 23,03 Sekunden mit der Bronzemedaille.

Ob sie in Rio an den Start gehen darf, ist ob der starken Konkurrenz durch Gina Lückenkemper, Lisa Mayer und Rebekka Haase allerdings noch fraglich. Ähnliches gilt für den Speerwerfer Julian Weber, der mit 83,79 Metern in Kassel die Norm knackte, die er zuvor mehrfach nur hauchdünn verpasst hatte. Thomas Röhler ist als Deutscher Meister gesetzt, Lars Hamann und Johannes Vetter melden ebenfalls Ansprüche an. Einige Athleten, die im Auestadion eigentlich die Norm hätten angreifen wollen, mussten kurzfristig noch absagen. Der bekannteste unter ihnen: Vorjahresmeister Raphael Holzdeppe, der am Samstag via Facebook verkündete, aufgrund anhaltender Probleme nicht am Stabhochsprung-Wettbewerb teilnehmen zu können. Den Traum von Olympia habe er aber auch weiterhin nicht begraben. Ein letztes Mal bei Deutschen Meisterschaften bekamen die Zuschauer Hammerwerferin Betty Heidler zu sehen. Standesgemäß verabschiedete sich die Frankfurterin mit ihrem elften Meistertitel und verkündete danach dem Publikum: „Ich komme wieder – dann aber als Zuschauerin.“

Gutes Gefühl

Die 116. Deutschen Meisterschaften waren ein Erfolg. Es waren faire Meisterschaften mit guten, aber nicht mit fragwürdig erscheinenden, astronomisch-starken Leistungen. Wettkämpfe, die im Rahmen der IAAF-Entscheidung, die russischen Leichtathleten aufgrund aktuell unüberwindbarer Doping-Problematiken auch weiterhin von internationalen Wettkämpfen auszuschließen, ein gutes Gefühl hinterließen.

Dem positiven Fazit steht der auf alle Disziplinen übergreifende Fokus auf die Olympischen Spiele nicht im Weg. „Wirklich zufrieden“ war auch DLV-Cheftrainer Idriss Gonschinska: „Wir hatten zwei unheimlich unterhaltsame und spannende Tage“, erklärte er. „Die Athleten werden sich freuen, in einiger Zeit wieder ins Auestadion zurückzukommen.“ Ein bisschen warten müssen werden die Sportler darauf jedoch noch, im nächsten Jahr findet der nationale Höhepunkt in Erfurt statt. Bis dahin wird die nacholympische Ruhe längst Einzug gehalten haben und Tokio 2020 wird in den Köpfen von Athleten, Zuschauern und Funktionären noch keine dominante Rolle spielen. Die Deutschen Meisterschaften werden dann wohl wieder mehr als eine Zwischenstation sein.

Daniel Becker

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German Championships In Athletics - Day 2

Paradox

Köln, 9. Juni 2016

Vorgestern war Halle, gestern war Götzis und morgen ist Kassel. So zumindest fühlt es sich im Moment an in der Leichtathletik-Welt. Ein Highlight jagt das nächste. Die Saison ist kurz, mit den Deutschen Meisterschaften liegt der nationale Höhepunkt sehr früh im Jahr (es sind tatsächlich nicht mal mehr zwei Wochen bis Kassel), und, natürlich, die ganz großen internationalen Festtage stehen ja auch noch an. Am Wochenende fand in Regensburg wieder die Sparkassen-Gala statt. Aufgrund des engen Terminplans fand sich das Meeting in ungewohnter Rolle wieder: Es bot die letzte Chance für viele Athleten, sich für die Deutschen Meisterschaften zu qualifizieren.

Die Folge: Aus einer Tagesveranstaltung wurde ein Wochenend-Meeting mit rund 1.200 Teilnehmern. Neben hoffnungsvollen Qualifikations-Anwärtern aus den U-Bereichen war auch fast die gesamte nationale Lauf-Elite am Start.Unter anderem bekamen die Zuschauer im voll besetzten Uni-Stadion eine Weltjahresbestleistung und einen 100-Meter-Lauf nah am deutschen Rekord zu sehen. Die Bahn in Regensburg ist schnell, starke Zeiten und gute Werbung für den Sport waren zu erwarten – auch für Sponsoren.

Doch wo sich in anderen Sportarten bei einem Event von solch hoher Relevanz die Geldgeber nur darum reißen würden, ihr Banner hinhängen zu dürfen, musste der Regensburger Meetingdirektor Kurt Ring im Vorfeld der Veranstaltung kürzen, wo es nur ging. Dass Top-Veranstaltungen in der deutschen Leichtathletik überhaupt stattfinden können, ist keine Selbstverständlichkeit. Das sollte man sich immer wieder vor Augen halten – gerade in Zeiten, in denen man gar nicht schnell genug von einem Höhepunkt zum anderen schauen kann, meint

Daniel Becker

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