Blog

Gina LUECKENKEMPER (SCC Berlin, GERMANY), 100m Women, 100m Frauen HUN, Leichtathletik, Athletics, World Athletics Champi

Foto: IMAGO / Eibner

System hinterfragen

Köln, 5. September

Liebe Leserinnen und Leser,
ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber auch mit über einer Woche Abstand zu den Weltmeisterschaften sind diese für mich noch immer das beherrschende Thema. Schlicht zu groß war die Enttäuschung über das Abschneiden des DLV-Teams in Budapest, zu groß der Schmerz, der einen jeden, der es mit der deutschen Leichtathletik hält, überkommen hat. Gepaart mit der bitteren Erkenntnis, dass Deutschland im Vergleich mit der Weltelite tatsächlich nicht mehr konkurrenzfähig ist. Und diese Tatsache wird allen voran den DLV-Athleten besonders zusetzen, jenen Sportlern, die in Ungarn zum Teil über sich hinausgewachsen sind — im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Denn für die Ursachen dieses historischen Debakels sind in erster Linie andere verantwortlich. Das deutsche Leichtathletik-System scheint beschädigt, fehlerhaft. Offenbart Schwächen, die sich über die Jahre entwickelt haben. Droht der einstigen Medaillennation Deutschland gar der Absturz in die Bedeutungslosigkeit? Und an welchen Stellschrauben muss zwingend gedreht werden? Mit diesen Fragen haben wir uns in den Tagen seit der WM beschäftigt, mit den Meinungen und der Kritik der Experten. Gesprochen haben wir auch mit einem, der die Geschehnisse im Nemzeti Atlétikai Központ bestens einordnen kann: Ex-Zehnkämpfer Frank Busemann war die gesamten neun Wettkampftage als TV- Experte vor Ort und hat erlebt, wie sich etwa die Förderung, welche Leo Neugebauer in den USA erhält, in Budapest positiv bemerkbar gemacht hat. Auch ohne Medaille. Die Gesellschaft muss ihr Verständnis von Leistung jedenfalls grundsätzlich hinterfragen, meint Busemann, und stößt eine Diskussion an, welche über die Leichtathletik hinaus zu führen ist.

Alexander Dierke