„Wenn das so weitergeht, wie lange haben wir dann überhaupt noch Meetings wie Berlin?“. Diese Frage warf Bernard Lagat im Anschluss an den letzten Auftritt seiner Karriere auf der Laufbahn beim Berliner ISTAF in den Raum. Eine eindringliche Frage, zurecht gestellt, die nachdenklich macht. Der „alte“ Haudegen Lagat, mittlerweile 41 Jahre, hat so manches in seiner ausgedehnten Laufbahn erlebt und wirft im Moment seines Abgangs mit ein wenig Wehmut einen Blick zurück. „Als ich 1999 nach Deutschland gekommen bin, gab es so viele Rennen, die mittlerweile verschwunden sind“, monierte der US-Amerikaner. Sorgenfalten lagen im Gesicht des Doppelweltmeisters von 2007, der auch nach Beendigung des aktiven Karriere seiner Herzenssportart als Trainer erhalten bleiben möchte. Lagats Lösungsvorschlag: „Wir müssen den Sport wieder besser zu unseren Fans bringen, um wieder Interesse zu gewinnen.“
Dessen sind sich auch die Verantwortlichen der Leichtathletik offensichtlich bewusst. In den letzten Jahren erhielten immer mehr Formate Einzug, die die Sportart aus dem Stadion heraus in die Mitte der Bevölkerung bringen. Eine kleine Revolution ist bereits im Gange. Man erinnere sich an das Marktplatzspringen im Rahmen der Deutschen Meisterschaft in Nürnberg vor einem Jahr oder die Wurfwettbewerbe am Museumsplein in Amsterdam während der EM. Ganz aktuell basteln fast schon etablierte Meetings wie das NetAachen Domspringen (am 7. September zum 12. Mal ausgetragen) oder „Berlin fliegt!“ (am 11. September zum 6. Mal ausgetragen) weiter in ihrer eigenen Erfolgsgeschichte.
Gerade Berlin schafft es in besonderem Maße, das Traditionelle und das Moderne unter einen Hut zu bekommen. So gingen in der Landeshauptstadt innerhalb von acht Tagen zwei Meetings über die Bühne, die jeweils auf ihre Weise dazu beitragen, den Charme der Leichtathletik zu bewahren und zugleich neue Wege zu bestreiten. Auf der einen Seite das alteingesessene ISTAF, das bei seiner 75. Auflage zum wiederholten Male zum besucherstärksten Meeting der Welt avancierte (44.500 Zuschauer). Auf der anderen Seite gut eine Woche später „Berlin fliegt!“, das dem neugierigen Publikum vor zauberhafter Kulisse am Brandenburger Tor die Disziplinen Stabhochsprung, Weitsprung und Sprint näher brachte. Der Sprintwettbewerb, frisch ins Programm aufgenommen, gestaltete sich nicht wie gewohnt Mann gegen Mann, sondern begeisterte mit einer innovativen Umsetzung.
Auf dem langen Sprint-Steg sollten die Athleten möglichst nach etwas 40 Metern ihre Höchstgeschwindigkeit erreichen, denn an dieser Stelle wurde das Tempo gemessen. In mehreren Durchgängen wurden die Punkte je nach Reihenfolge vom Schnellsten bis zum Langsamsten vergeben. „Das kann man wieder so machen“, resümierte Julian Reus, der für Deutschland an den Start gegangen war. Ebenso wie der deutsche Sprint-Star dürften auch die Berliner Zuschauer einem Wiedersehen bei „Berlin fliegt!“ im kommenden Jahr nicht abgeneigt sein. Das Format fruchtet, es besitzt Potential. Wenn den Funktionären und den Sportlern die schmale Gratwanderung zwischen der traditionellen Leichtathletik im Stadion und den innovativen Show-Events außerhalb gelingt, hat das Modell Zukunft und Bernard Lagat dürfte sich seiner nicht ganz ungerechtfertigte Sorgen entledigen.
Tim Kullman